Internet Statement 2001-31


Der Polizeiterror von Genua und die Haltung der deutschen Regierung

Der Polizeiterror, den hunderttausende Menschen in Genua erfahren mußten, die sich zum Ausdruck ihrer Opposition gegen das wüste internationale Ausbeuterregime der G8 versammelt hatten, hat das bisherige Ausmaß der Konfrontation bei solchen Anlässen in der Tat weit hinter sich gelassen. Offenbar betrachtet die internationale Finanzoligarchie mit ihren Politikern die Proteste zunehmend mit Nervosität und hat hier versucht, diese Bewegung durch massive Aggressionen eines gezielt aufgeputschten Polizistenheeres dermaßen zu verletzen und einzuschüchtern, daß sie Schritte zurück machen soll. Die Ermordung eines Demonstranten, Carlo Giuliani, die schweren Verletzungen von Dutzenden von Menschen, die von Spezialeinheiten der Polizei unter lächerlichen Vorwänden im Schlaf überfallen wurden, die offenbar systematischen Provokationsmanöver der Polizei, die willkürlichen wochenlangen Inhaftierungen und Isolierungen vieler Kundgebungsteilnehmer, sowie der Massenterror gegen große Demonstrationen, interessanterweise vorwiegend gegen diejenigen, die ohne Konfrontation mit der Polizei demonstrieren wollten, sind längst durch zahlreiche Berichte dokumentiert. Wir möchten den Betroffenen unsere Sympathie und Solidarität ausdrücken. 

Was auf die Demonstranten in Genua im Namen der G8 niedergegangen ist, hat mit dem Terror zu tun, der unter der Oberherrschaft desselben G8-Kapitalismus in vielen sich entwickelnden Ländern der Welt das tägliche Leben der Arbeiter und breiter Massen prägt, wo schon elementare gewerkschaftliche und demokratische Forderungen mit Todesschwadronen und ähnlichen Mitteln bedroht werden. Ein Stück davon wurde in Genua vorgeführt und wird unter den Kritikern der kapitalistischen Globalisierung die Tendenz zum solidarischen Einsatz für die Interessen der Mehrheit der arbeitenden Weltbevölkerung, so hoffen wir, verstärken.

Im Interesse der weitergehenden politischen Diskussion möchten wir ein paar Bemerkungen zur Frage machen, welche Rolle bei den Ereignissen das italienische Berlusconi-Regime spielt, sowie auch zur Rolle der deutschen Regierung. Es ist sicher ein auffälliger Punkt, daß dieses Regime mit einem offenen Neofaschisten als Innenminister jetzt in dieser Weise vorgegangen ist, doch wenn es so wäre, daß sich hier faschistische und rechte Kräfte Eigenmächtigkeiten erlaubt hätten, dann müßten andere G8-Regierungen wie die deutsche längst scharfe Verurteilungen und die Forderung nach Bestrafung der Verantwortlichen ausgesprochen haben. Aber abgesehen von ganz marginalen kleinen Kritikpunkten und ein paar konsularischen Aktivitäten für inhaftierte Deutsche kann nicht einmal von einer flauen Distanzierung der deutschen Regierung gesprochen werden, d.h. die sozialdemokratisch-grüne Regierung, selbst ein gewichtiges Mitglied der G8, steht voll hinter der Polizeistrategie von Genua, mit der das Anwachsen der Kritik an der G8 niedergemacht werden soll, und steht hinter dem Berlusconi-Regime, dem unmittelbaren Beauftragten der G8.

Ganz offensichtlich machten die Spezialeinheiten der Polizei bei ihren blutigen Schlägerorgien, den Mißhandlungen und Erniedrigungen ihrer Gefangenen kein Hehl daraus, daß Faschismus auch in ihren Köpfen herrscht. Faschistische Gesinnung aber, das möchten wir in diesem Zusammenhang erneut betonen, ist keineswegs bloß eine Sache schlechter Traditionen, sondern sie ist eine typische Gesinnung der heutigen brutalen und völlig asozialen Ausbeuter, die das G8-Regime weltweit vor allem gegenüber den Völkern der früheren kolonialen Welt repräsentiert, daher ist es überhaupt kein Zufall, daß sie sich auch in den Kreisen seiner Polizei erneut ausbreitet. Ein Mitglied einer dort eingesetzten Polizei-Spezialeinheit berichtete in der großen bürgerlichen Tageszeitung ‘La Repubblica’ u.a.:
„Das Tor ging ständig auf, aus den Wannen entstiegen die jungen Leute und wurden verprügelt.  Sie mußten mit dem Gesicht zur Wand stehen. Einmal drinnen, haben sie ihnen den Kopf gegen die Wand geschlagen. Auf einige haben sie draufgepisst, andere geschlagen, wenn sie nicht die faschistische Hymne gesungen haben (‘Facetta nera’)...“
Ein Opfer der Mißhandlungen berichtete u.a., die Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos hätten Verse zum Preis Pinochets sowie zur rassistischen Hetze gegen Juden und Schwarze gegrölt.

Und was unternimmt hier die deutsche Regierung, die angeblich keine größere Sorge als den Kampf gegen die rechte faschistische Gefahr, gegen Rassismus und Antisemitismus kennt, die ganze „Aufstände der Anständigen“ organisiert, um die deutsche Bevölkerung angeblich gegen rechte Gewalt aufzurütteln? Nichts. Daraus muß man schließen, daß das sozialdemokratisch-grün gefärbte Regime, wie es derzeit in Deutschland besteht, mit verwandten Formen auch in Frankreich und Großbritannien, in Wirklichkeit mit solchen Kräften wie Berlusconi-Fini verblockt ist. Es stellt zwar eine Anzahl von Fällen rassistischer Mißhandlung und auch Morden in Deutschland  stark heraus und sucht von daher Argumente für seine gegen die eigene Bevölkerung gerichtete Politik in der Bevölkerungsfrage zu sammeln. Aber gegen die faschistische Unterdrückung und Mißhandlung einer ganzen großen politischen Bewegung von hunderttausenden von Menschen, die überwiegend - auf ihre Weise - sich gegen die völlige Asozialität des herrschenden Kapitalismus zu stellen sucht, gibt es kein Piep von sich. Die sozialdemokratisch-grüne Regierung ist durch und durch ein Regime der Friedensheuchelei, der antifaschistischen Heuchelei, der sozialen Heuchelei, ein Regime, das nicht zufällig an anderen Stellen, derzeit auf dem Balkan, zu den aktiven NATO-Kriegstreibern zählt. Viele der Demonstranten sind in ihren politischen Vorstellungen durchaus noch von der grün-sozialdemokratischen Ideologie beeinflußt und erkennen noch nicht das ganze Ausmaß der Heuchelei - wenn sie jedoch mit ihren Protesten der internationalen Ausbeutung etwas zu nahe kommen, werden sie trotzdem niedergeknüppelt. Diese Erfahrung wird allerdings die Kenntnis, wie tief reaktionär das ganze Regime ist, verbreitern.

W. Grobe (Mitglied der Redaktion NE)
25.8.01