Internet Statement 2001-39

 

Bündniskongress in Jena, 21.-23.September 2001

Fragen der Ökonomie


Die letzten 25 Jahre haben tiefe Veränderungen in der Arbeiterklasse der ganzen Welt hinterlassen. Es haben sich strukturelle Veränderungen in der Arbeiterklasse auf allen Kontinenten vollzogen, die sowohl objektive Veränderungen der Möglichkeiten des Kampfes mit sich gezogen haben, als auch auf die subjektive Einstellung in der Arbeiterklasse tiefgehende Rückwirkungen hatten. Dies müssen wir sowohl für unser Land als auch für alle anderen Länder begreifen.

Der antiimperialistische Kampf kann nur dann erfolgreich sein, wenn ihm eine Alternative zum Imperialismus zugrunde liegt. Alle Äußerungen des Widerstandes gegen den Imperialismus, insofern sie nicht auf eine aktive Verteidigung reaktionärer Verhältnisse hinauslaufen, müssen gestützt und gefördert werden und müssen durch einen Ideenaustausch auch an die Möglichkeiten einer wirklichen Alternative zum Imperialismus herangebracht werden.

Schon seit über 100 Jahren gibt es die Verlagerung von Produktion zu den früheren halbkolonialen und kolonialen Ländern, den späteren Entwicklungsländern, hin. Schon Lenin beobachtete dies für England in einem großen Umfange und sagte grundlegende strategische Veränderungen im Kampf voraus. Es ist ein Beispiel für die Weitsicht der russischen kommunistischen Partei, daß sie die Bedeutung des Ostens als kommendes Zentrum der Bewegung frühzeitig erkannte.

Schon Ende der sechziger Jahre begann sich durch die Erfolge des Sozialismus und der antiimperialistischen Revolutionen auch die kapitalistische Welt in Asien zu verändern. Verschiedene kapitalistische Länder und Gebiete in Asien unternahmen große Anstrengungen für eine Industrialisierung, darunter auch einige reaktionär beherrschte. Südkorea, die chinesische Insel Taiwan, sogar Indonesien, sind dafür sehr beredte Beispiele. Hier entstanden große neue Märkte und große neue industrielle Potenzen, die auch in den übrigen Teilen der Dritten Welt wie Lateinamerika und Afrika Parallelen und Nachahmer fanden.

In unserem Land hatte das seine Widerspiegelung darin, daß ganze Industriezweige verschwanden, schon während der sechziger, siebziger Jahre zum Beispiel die Optikindustrie sich in den fernöstlichen Raum verlagerte, sehr große Teile der Textilindustrie in die Dritte Welt verlagert wurden und schließlich beobachtet werden mußte, wie die Stahlindustrie hier auf der einen Seite modernisiert wurde und auf der anderen Seite ganze Fabriken bis zur letzten Schraube nach China oder in andere Länder Ostasiens verfrachtet wurden. Der "soziale Frieden", den das Kapital immer propagiert hatte, hat sich für die Arbeiterklasse nicht ausgezahlt. Zwar gab es vorübergehend für Teile Verbesserungen und sogar Anhebungen in den Angestelltenposition, aber insgesamt ist sie auf ein Gleis gekommen, das sie zur Ohnmacht gegenüber dem Kapital verdammt hat. Wesentliche politische Positionen der Kampfbereitschaft und der Repräsentanz durch politische Parteien oder wenigstens innerhalb von politischen Parteien sind verschwunden. Dies hat nachhaltige Auswirkungen, gerade in den letzten Jahren.

Diese Auswirkungen waren sehr unterschiedlich. Ein Teil der Arbeiterklasse wurde direkt arbeitslos. Sie müssen auch einen antiimperialistischen Kampf führen. Der Staat in unserem Land versucht zugleich, die Arbeitslosigkeit durch allerlei Maßnahmen der Beschäftigung zu kaschieren oder so zu gestalten, daß sie auf dem unteren Level noch gerade so ertragen werden kann, so daß Teile dann bereit sind, diesen Status zu akzeptieren. Die Arbeitslosigkeit führte auch zur Verwerfung eines Teils der Jugend, der in die Subkultur abgedrückt wurde. Diese Vorgänge führten zur Anhebung, oder aber Teile wurde wurden gelockt damit, daß sie und ihre Nachkommen in die Angestelltengruppe übernommen würden.

Diese Bewegung gab es wiederholt an den verschiedensten Punkten im Land. Als ein Beispiel kann West-Berlin genommen werden, wo in der Zeit Anfang der siebziger Jahre in rascher Folge zunächst ein Großteil ausländischer Arbeitskräfte eingeführt wurde und dann, etwa seit 1974, radikal Produktionsabbau betrieben wurde, der bis zum heutigen Tage anhält, der auch nach dem Fall der Mauer, der Vereinigung Berlins bei der Angliederung der DDR, angehalten hat

Dies hatte verschiedene Auswirkungen. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bilden eine Seite, auf der anderen Seite die Entwicklung des „Dienstleistungssektors". Gerade damit versuchte der Staat zu werben, daß angeblich Ersatz geschaffen wird, mehr noch, manchmal, wenn auch als Extremität war zu hören, nur dieses habe in unseren westeuropäischen Ländern eine Zukunft. Es bedeute zumindest für einen Teil eine bessere Stellung und unausgesprochen, daß man frei wird von der „unteren Arbeit", für die seien dann die andere Völker da. In seiner ökonomischen Grundlage enthält das von vornherein rassistische Ansätze. Die Schrödersche Politik zum Beispiel, die noch vor kurzem erklärte, daß die klassischen Industriezweige hierzulande mehr oder minder ganz überholt seien, und man statt dessen nur noch Dienstleistungsbetriebe haben solle, ist ein extremer Ausdruck solcher Bestrebungen gewesen. Die jüngste krisenhafte Entwicklung macht allerdings klar, daß dies auf einer Seifenblase basiert.

Technologische Veränderungen in der Produktion spielen allerdings eine große Rolle, wie die Automatisierung und die Organisation der Arbeitsteilung im weltweiten Maßstab auf Grund neuer Mittel der Kommunikation. Die Rolle der Wissenschaften ändert die Kapitalzusammensetzung, und schafft neue Widersprüche. Aber es hat sich auch schon gezeigt, daß diese Entwicklung nicht die körperliche und industrielle Arbeit abschafft, wie das vielfache Millionenheer neuer Arbeiter in den früheren Entwicklungsländern beweist.

Wir sollten diese Fragen auf dem Kongreß an Hand von einer großen Zahl von Einzelbeispielen diskutieren, sowie die inneren Faktoren dieser Gesellschaft, die diese Entwicklung treiben.

Mit der Angliederung der DDR hat sich diese ökonomische Entwicklung der Bundesrepublik auch auf die DDR übertragen, genauer gesagt, sie wurde im Schnellverfahren nachgeholt. Gleich nach der „Wende" stellten industrielle Institutionen fest, daß die Sozialstruktur der DDR ziemlich genau der der Bundesrepublik im Jahre 1965 entspreche. Längere Zeit war die DDR-Ökonomie auf einer Reihe von Sektoren Billigproduzent für westdeutsche Konzerne gewesen und war auf diesem Gebiet dann in den 80er Jahren zunehmend durch die Konkurrenz ostasiatischer Länder bedrängt worden.


Der antiimperialistische Kampf hat gerade auch mit der Tatsache zu tun, daß das Kapital versucht, die Produzenten in den zahlreichen Ländern durch ein reaktionäres Umfeld zu bedrücken. In einigen Ländern herrscht die Militärbürokratie, die keine selbständige Organisation zuläßt, in anderen eine islamische Theokratie, die alle demokratischen Regungen im Ansatz unterdrückt, in anderen herrschen wiederum bürgerliche "Demokraten" und Menschenrechtler, die sich auf alte Strukturen stützen und umso rücksichtsloser die Arbeiter freisetzen und ökonomisch erpressen. Längst hat die Entwicklung auf die ursprünglich hochentwickelten Länder zurückgegriffen, Billigjobs, unterste Lohngruppen sollen die verbliebene Produktion hier ausfüllen, eine Entwicklung, die dann auch qualifiziertere Arbeit unweigerlich angreift.

Es ist gerade charakteristisch, daß das Kapital versucht, heute in diesem oder jenem Land die Arbeiter zu ködern, indem es die Produktion auf Kosten anderer dorthin verlagert, mit der Begründung, dort bessere Bedingungen zu finden. Morgen aber werden sie wieder ein anderes Land bevorzugen und die Proletarier des ersteren Landes mit allen Problemen allein lassen und sich so immer härtere Bedingungen erpressen. Ausnutzen von Unwissenheit und Unerfahrenheit ist eine wesentliche Grundlage dieses Vorgehens.

In sämtlichen Ländern versucht das Kapital heute, die Arbeiter so rechtlos wie möglich zu halten. Aber nicht nur die Arbeiter, auch alle übrigen Schichten sind von der Unterdrucksetzung betroffen. Ein enormer Steuerdruck, der in einigen der entwickelten Länder, aber auch in Ländern mit großer Armut herrscht, drückt auch alle übrigen Werktätigen und die Mittelschichten herunter, die diesen Druck derweil an die Arbeiter weitergeben. Unter dem Deckmantel von sog. Menschenrechten und sog. humanitären Missionen maßt sich die imperialistische Gesellschaft an, alles übrige zu kontrollieren, die Unabhängigkeit der Nationen grundsätzlich zu verneinen und das Gesetz der völligen Vernichtung aller gesellschaftlichen Strukturen, die Freiheit für die barbarische Ausnützung atomisierter Einzelindividuen durch das Kapital zu propagieren, als angeblichen Motor des Fortschritts und tatsächliches Mittel einer zunehmenden Selbstdestruktion in der Gesellschaft. Es ist notwendig, die Berechtigung des Widerstandes mit allen Mitteln, insbesondere auch das Recht auf Notwehr und im äußersten Fall auch des bewaffneten Kampfes für die arbeitenden Klassen und ausgebeuteten Nationen zu propagieren.

Hartmut Dicke,
Gruppe Neue Einheit

August 2001


Der Beitrag korrespondiert auch mit dem Beitrag „Über die Repression", Sektion3


© 2001, Berlin Hartmut Dicke


(Dieser Text wurde als schriftlicher Beitrag zum Kongressthema "Antiimperialistischer Kampf und soziale und politische Aspekte" (Sektion 1) des oben erwähnten Bündniskongresses in Jena, September 2001, verfaßt. Die Red.)