Neue Einheit  -  Internet Statement 2003-21

 

Der Irak unter der Besatzungsmacht - Das Ausmaß des kulturellen Vandalismus

Seit der Besetzung Bagdads durch US-Truppen reißen die Berichte über Plünderungen, Vandalismus, Brandstiftungen sowie über die Rolle der Besatzer dabei nicht ab. Hier ereignen sich nach zahlreichen übereinstimmenden Berichten aus verschiedenen Quellen schlimmste Verwüstungen des kulturellen Erbes und der ökonomischen Infrastruktur, zumindest unter billigender Hinnahme seitens der Besatzungstruppe, die ihre offensichtlich vorhandenen Möglichkeiten zum Eingreifen nicht nutzt, die von Rumsfeld bis hinunter zum einzelnen Soldaten die Banden sogar tätschelt und ermuntert, nach manchen Hinweisen sie sogar organisiert, und für das Geschehen jedenfalls die entscheidende Verantwortung trägt. Nachdem die großen Zerstörungen bereits geschehen waren und weltweit Empörung ausgelöst hatten, haben US-Repräsentanten nach und nach einige Äußerungen dagegen abgegeben und höchst zögerlich die eine oder andere Bewachungstruppe aufgestellt. Das kann von ihrer Verantwortung nicht ablenken.

Hier soll ein Überblick versucht werden darüber, was zerstört wurde, und was die Zerstörungen konkret bedeuten, wie er sich aus vielen einzelnen Pressemeldungen und Artikeln ergibt.

  • Das irakische Nationalmuseum wurde weitgehend geplündert, und nichtgeplünderte Bestände wurden einfach zerstört. Dies betrifft vor allem die archäologischen Schätze aus der mehrtausendjährigen Geschichte Mesopotamiens
  • Die historischen Archive des Irak, die Material aus osmanischer Zeit, aus der Zeit der Königsherrschaft und der späteren staatlichen Geschichte des Irak enthielten, wurden abgebrannt.
  • Die Koranbibliothek mit ihren Beständen zur Frühgeschichte des Islam wurde abgebrannt.
  • Die irakische Nationalbibliothek: abgebrannt.
  • Das Museum für moderne Kunst: abgebrannt.
  • Auch das Museum in Mossul wurde geplündert.
  • Was mit den weiteren Regionalmuseen des Irak sowie den zahllosen erstrangigen archäologischen Stätten des Landes wie z.B. Niniveh und Ur geschehen ist, darüber wurde nicht berichtet, logischerweise muß man hier ebenfalls das Schlimmste befürchten.

Ein weiteres Kapitel ist die offenbar systematische Zerstörung der ökonomischen Infrastruktur und der Krankenhäuser Bagdads durch Banden, die bisher angeblich nicht identifiziert werden konnten, und zwar seit der Machtübernahme der USA. Weit davon entfernt, an der Wiederherstellung der Strom- und Wasserversorgung zu arbeiten, sehen deren Soldaten nach den verschiedensten Berichten bisher weiterhin desinteressiert zu, wie solche Einrichtungen angegriffen, demoliert und in Brand gesetzt werden. Nur durch bewaffnete Gegenwehr ihrer Beschäftigten selbst können sie fallweise verteidigt werden. Auch Betriebe der elementaren Lebensmittelversorgung werden so angegriffen. Inzwischen wird sogar ein Fall berichtet, wo die Besatzungsmacht selbst Selbstschußanlagen in einem Elektrizitätswerk montiert hat, sodaß seinen Beschäftigten der Zugang verwehrt ist; sie selbst aber repariert nichts (Al Jasira, 21.4.03) Ein Wasserturm muß von bewaffneten Bürgern bewacht werden, berichtet ein Augenzeuge. Die Plünderungen der Krankenhäuser haben wahrscheinlich schon zu Tausenden weiteren Opfern in der Bevölkerung geführt. All dies ist Terror gegen das irakische Volk. Das ist die direkte Fortsetzung der wochenlangen Bombardierungen und des offenen, nach wie vor betriebenen militärischen Terrors der Besatzer und ihres 12 Jahre betriebenen Embargos, und zwar mit Hilfe von kriminellen und gekauften Elementen.

Soll Bagdad in die Hungersnot und die Seuchen getrieben werden – damit die Bevölkerung bei der Besatzungsmacht ums Überleben fleht und alle ihre politischen Bedingungen annimmt?

Nun zu Einzelheiten der bisher bekannt gewordenen Verbrechen:


1. Die Verwüstung des irakischen Nationalmuseums

Ohne zu übertreiben kann dieses Museum als eines der wichtigsten archäologischen Museen der Welt bezeichnet werden. Seine Bestände zur gesamten mesopotamischen Geschichte seit etwa 4000 vor u.Z. sind nach Zahl und Qualität einzigartig. Der Erforschung dieser Geschichte seit den Sumerern über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren verdankt die Menschheit entscheidende Einsichten in die gesellschaftliche Entwicklung überhaupt. Die Entstehung des Privateigentums, des Grundbesitzes, des Geldes, der Kaufverträge, des Stadtwesens etc. ist hier wie kaum anderswo so früh und breit belegt. Zahlreiche Keilschrift-Tontafeln, von denen die große Masse noch gar nicht ausgewertet werden konnte, beinhalten z.B. so konkrete Dinge wie Kauf- und Schuldverträge, anhand derer man die gesellschaftliche Entwicklung erschließen kann.
Insbesondere auch für das wissenschaftliche Verständnis der Entstehung religiöser Vorstellungen und Rechtssysteme, aus denen sich später u.a. auch die Entstehung der jüdischen Religion speiste, aus der dann wiederum das Christentum und der Islam entscheidende Impulse erhielten, ist die Geschichte Mesopotamiens ein wesentlicher Schlüssel.
Hier wurden nicht nur besonders bekannte und wertvolle Ausstellungsgegenstände geraubt, sondern es wurden ganz systematisch die Bestände zertrümmert, die nicht geraubt wurden. Es handelt sich also keineswegs nur um Kunstraub, sondern um Vandalismus gegen das historische Erbe der Menschheit. Es ist Vernichtung von essentiellem Beweismaterial für die historische Aufklärung, u.a. gerade über Wesen und Entwicklung der Religionen.

Ein wichtiger Teilbestand des Museums waren Tontafeln mit schriftlichen Aufzeichnungen. In einem Interview sagt Hans Jörg Nissen, Emeritus für Vorderasiatische Archäologie an der FU Berlin, der Tageszeitung „Die Welt“, daß das Nationalmuseum 30 - 40.000 Keilschrift-Tontafeln besessen habe, von denen bisher vielleicht 10% ausgewertet seien. (17.04.03) U.a. sagt Nissen:

"In den zahllosen Wirtschaftstafeln im Bagdad gibt es eben immer das einzigartige Stück, das wieder eine Lücke unseres Wissens schließt.
DIE WELT: Können Sie einen berühmten Text nennen?
Nissen: Die frühesten mathematischen Tafeln aus Tell Harmal, sie sind einmalig. Wären sie verloren, wäre es ein schlimmer Schlag.
DIE WELT: Hatten Sie Kontakt zu den Kollegen in Bagdad?
Nissen: Ich versuche es laufend, aber die Telefone sind tot.
DIE WELT: Dann wissen Sie nicht, was zerstört wurde?
Nissen: Nein, aber den Bildern von den leeren Vitrinen aus den Schauräumen nach zu urteilen, wurden meine gegenwärtigen Forschungsobjekte, die dort ausgestellten Tafeln, Opfer von Plünderern oder Zerstörern. Es handelt sich um die ältesten Schriftzeugnisse Mesopotamiens, entstanden in der Zeit vor 3000 v. Chr., also aus altsumerischer Zeit. Ich denke, dass diese Texte auf jeden Fall verloren sind. Wenn auch die Magazine zerstört wurden, stehen wir vor einem unvorstellbaren Verlust schriftlicher Erinnerung.“


2. Deutliche Hinweise auf internationale Vorbereitungen der Plünderungen

Die Plünderer und Zerstörer gingen keineswegs nur spontan vor. Auf einem UNESCO-Treffen in Paris am 17.4., auf dem Gegenmaßnahmen besprochen werden sollten, sagte . McGuire Gibson, Präsident der amerikanischen Vereinigung für Forschung in Bagdad: „ Sie waren in der Lage, Schlüssel für gesicherte Räume zu benutzen und wichtiges mesopotamisches Material zu entnehmen, das in Safes war. Ich habe den Verdacht, daß das von außerhalb des Landes organisiert wurde, ja ich bin ziemlich sicher, daß das so ist.“ (Independent 18.4., Paul Peachey)

In diesem Zusammenhang müssen die Aktivitäten einer US-Organisation erwähnt werden, des Kunsthändlersyndikats„American Council for Cultural Policy" (ACCP), einer privaten Vereinigung von reichen Sammlern und einflußreichen Anwälten mit Sitz in New York, die offen fordert, den Import von im Irak geraubten Schätzen entgegen den gültigen internationalen Regeln zu erleichtern. (FAZ 11.4.03)
Bspw. fordert der ACCP Änderungen der „einengenden Zollbestimmungen des Irak“ – wozu die Besatzungsmacht wohl verhelfen soll. Der Sinn kann nur sein, daß der Raub nunmehr „legal“ außer Landes und in die USA verbracht werden könnte.

Am 13.4. brachte die ARD ein Interview mit Mounir Bouchenaki, dem stellv. UNESCO- Generalsekretär, der von einer Mafia sprach, die bereits nach dem Irak-Krieg von 1991 geraubte irakische Kunstschätze international vermarktete. Bei dem ACCP in NY, sagte Bouchenaki, handele es sich um eine „Lobby-Organisation“, die sich lt. den Rechtsexperten der UNESCO „in komplettem Widerspruch zu allen internationalen Gesetzen und Konventionen befinde“. Der ARD hatte die ACCP ein Interview verweigert.

Wie eine Ergänzung dieser kriminellen Aktivitäten wirkt es, wenn Powell – nach den Plünderungen und internationalen Protesten – ankündigt, die USA wollten sich jetzt selbst zum Bewahrer und Aufspürer geraubten Guts machen. Das muß selbst die FAZ unter die Überschrift stellen: „Den Bock zum Gärtner machen“ (15.4.03)


3. Die USA waren vor dem Krieg vor Gefährdungen der Kulturschätze gewarnt worden und hatten selbst Maßnahmen versprochen

Den USA steht die Ausrede, sie seien von der Gefährdung der Museen und archäologischen Stätten überrascht worden, nicht zur Verfügung, obwohl sie sie natürlich vorbringen. Mehrere Instanzen bezeugen, daß sie vor dem Krieg in Kontakten mit dem Pentagon versucht haben, Maßnahmen gegen Übergriffe und Zerstörungen kultureller Stätten zu erreichen, und das US-Militär hat selbst solche Zusicherungen gegeben „Einige Historiker und Experten sagen, daß ihnen vor Monaten vom Pentagon versichert worden sei, daß im Kriegsfall die Kulturstätten geschützt würden.“ (Independent 19.4.03, Rupert Cornwell in Washington)
“Bei einer Pressekonferenz in Kuweit am 5. April sagte Major Christopher Varhola, ein Kulturanthropologe bei der US-Army, die Kriegsplanung der USA habe den Schutz der Kulturstätten eingeschlossen. ‚Im ganzen Irak gibt es eine Anzahl von Museen, insbesondere das Nationalmuseum in Bagdad, die unschätzbare Materialien enthalten’, sagte er.’ Das US-Militär bemüht sich um Koordination mit jeder Organisation, die sich der Erhaltung widmet, die weiter geht als die militärische und operative Notwendigkeit.’ “ (Independent 18.4.03, Paul Peachey)
Koordiniert wurde in der Tat dann mit den Räuber- und Vandalenbanden, und alle Appelle, gefälligst den schuldigen Schutz zu gewähren, schnöde abgetan.


4. Plünderungen sind nur ein Teil des Geschehens. Fanatische Zerstörung um der Zerstörung willen ist der andere Teil
- Das Schicksal der wichtigsten Bibliotheken und Archive Bagdads

Die Plünderungen zwecks Geldmachens, aufgebaut auf der schon vororganisierten internationalen Kunstraub-Mafia, sind, um diesen wichtigen Punkt nochmals zu betonen, nur ein Teil der schwarzen Verhältnisse, die unter der US-Besatzung und wahrscheinlich analog unter der britischen Besatzung Einkehr gehalten haben. Wahrscheinlich haben die Zerstörungen von Schätzen sogar den größten Schaden angerichtet. Daß diese Strategie eine ganz eminente Rolle spielt, wird aus dem Abbrennen der wichtigsten Bibliotheken Bagdads deutlich. Hier wurde nach den Augenzeugenberichten vor allem verbrannt, weniger geraubt:


“The burning of Iraq's National Library is a 'devastating loss' and is the equivalent of losing the British Library, international academics said. The US military's failure to prevent the calamity must be investigated to prevent it happening again, they added.

After the looting and burning at government ministries and the ransacking of Iraq's main archaeological museum, the burning of the library, with its thousands of rare printed books and hand-written archives, marks a further erasure of Iraq's past, obliterating large chunks of Middle Eastern history and destroying many unique documents.

Geoffrey Roper, head of the Islamic Bibliography Unit at Cambridge University, said: 'If people's personal possessions are lost they can be replaced, but these things can never be replaced.
The archive contained a lot of early Arabic printed books, which are very scarce and very fragile, a lot of which have survived in just one or two editions. We've also lost material from the library of the Ministry of Religious Endowments, which contained rare early legal and literary materials, priceless Korans, calligraphy and illumination – the kind of thing that appeared in international exhibitions in the past,' he said."
 (Independent 16.4.03, Andrew Gumbel)

Übersetzung:

„Der Brand der Nationalbibliothek des Irak ist ein ‘verheerender Verlust’ und gleichwertig dem Verlust der British Library, sagten internationale Akademiker. Das Versagen des US-Militärs, das Unglück zu verhindern, muß untersucht werden, damit eine Wiederholung vermieden wird, fügten sie hinzu.

Nach den Plünderungen und Brandstiftungen in Ministerien und der Ausraubung des wichtigsten irakischen archäologischen Museums stellt die Verbrennung der Bibliothek mit ihren Tausenden von seltenen gedruckten Büchern und handgeschriebenen Archiven eine weitere Vernichtung der Vergangenheit des Irak dar, die große Teile der Geschichte des Mittleren Ostens vernichtet und viele einzigartige Dokumente zerstört.

Geoffrey Roper, Leiter der Gruppe für Islamische Bibliographie an der Universität Cambridge, sagte: ‚Wenn Menschen die persönlichen Besitzgegenstände verlorengehen, können sie ersetzt werden, aber diese Dinge könne nie wieder ersetzt werden.
Das Archiv enthielt eine Menge früher gedruckter arabischer Bücher, die sehr selten und sehr empfindlich sind, und häufig nur in einem oder zwei Exemplaren überlebt haben. Wir haben außerdem Material aus der Bibliothek der Ministeriums für religiöse Besitztümer verloren, die seltene alte juristische und literarische Materialien enthielt, unschätzbare Korane, Kalligraphien und Buchschmuck – die Sorte Sachen, die in der Vergangenheit auf internationalen Ausstellungen auftauchten’, sagte er. “
(Independent 16.4.03, Andrew Gumbel)


Robert Fisk schreibt in einem Artikel für den Independent, den die „Welt“ am 16.4.03 in Übersetzung bringt:

„Wie die Nationalbibliothek, das Nationalarchiv und die Koran-Bibliothek ein Raub der Flammen wurden.

Nun war die Bücherverbrennung an der Reihe. Erst kamen die Plünderer, dann die Brandschatzer. Es war das letzte Kapitel der Zerstörung Bagdads. Die Nationalbibliothek und das Nationalarchiv, unersetzliche Schatzkammern Osmanischer historischer Dokumente, einschließlich der alten königlichen Archive des Irak, verwandelten sich in der Gluthitze von 3000 Grad in Asche. Danach wurde die Koran-Bibliothek des Religions-Ministeriums ein Raub der Flammen.

Ich sah die Plünderer. Einer von ihnen beschimpfte mich, als ich versuchte, einem höchstens zehn Jahre alten Jungen ein islamisches Buch wieder abzunehmen. In der Asche der Geschichte des Irak fand ich einen Aktenordner, der sich draußen in den Wind verstreute: handschriftliche Briefwechsel zwischen dem Hof Scharif Husseins von Mekka, der die arabische Revolte gegen die Türken für Lawrence von Arabien begann und den Osmanischen Herrschern von Bagdad.“

Wenn diese Passage den Tatsachen entspricht, bedeutet das, daß gerade auch Dokumente, die die schmutzige verräterische Neokolonialisierung betreffen, die gegenüber den Arabern während des 1. Weltkriegs unter Federführung Englands betrieben wurde und deren Ergebnisse die USA später weitgehend übernommen haben, vernichtet wurden.

Weiter bei Fisk:

“Und die Amerikaner unternahmen gar nichts. Papiere trudelten über den schmutzigen Boden, Empfehlungsschreiben an die arabischen Höfe, Munitions-Anforderungen für die Truppen, Berichte über Kameldiebstähle und Überfälle auf Pilger, alles in feiner arabischer Handschrift. Ich hielt die letzten schriftlichen Zeugnisse der irakischen Geschichte in meinen Händen. Aber für den Irak ist es das Jahr Null; mit der Zerstörung der Antiken im Irak-Museum und dem Niederbrennen der nationalen Archive und danach der Koran-Bibliothek ist die kulturelle Identität des Irak ausradiert worden. Warum? Wer hat diese Feuer gelegt? Zu welch geisteskrankem Zweck wird dieses Erbe zerstört?

Als ich die 30 Meter hohen Flammen sah, die aus den Fenstern der Koran-Bibliothek schlugen, raste ich zu den Büros der Besatzungsmacht, dem "US Marines Civil Affairs Bureau" (Büro der US Marine-Infanterie für Zivilangelegenheiten). Ein Offizier rief einem Kollegen zu: "Der Typ hier sagt, irgend eine biblische (sic!) Bibliothek brennt!" Ich zeigte die Stelle auf der Straßenkarte, den genauen Namen in Arabisch und Englisch. Ich sagte, den Rauch könne man meilenweit sehen und es würde nur fünf Minuten dauern, dahin zu fahren. Eine halbe Stunde später war immer noch kein Amerikaner am Ort, und die Flammen schlugen 60 Meter hoch.

Es gab eine Zeit, da man bei den Arabern sagte, ihre Bücher würden in Kairo geschrieben, in Beirut gedruckt und in Bagdad gelesen. Nun brennt man in Bagdad Bibliotheken nieder. Im National-Archiv wurden nicht nur die osmanischen Dokumente des Kalifats aufbewahrt, sondern auch die der dunklen Jahre der jüngeren Geschichte des Landes, handgeschriebene Aufzeichnungen aus der Zeit des Krieges zwischen Irak und dem Iran 1980-1988, mit Fotos und Militärtagebüchern, und mikroverfilmte arabische Zeitungen bis zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts.

Aber die älteren Bestände lagerten in den oberen Stockwerken, wo man ganz professionell mit Benzin als Brandbeschleuniger den Bau den Flammen überantwortete. Die Hitzeentwicklung war so groß, dass der Marmorfußboden sich hob und die Betontreppen, die ich hochgestiegen war, zerbarsten.“   (Robert Fisk, The Independent, dt. in Die Welt vom 16.4.03)

Die Vernichtung der Bestände der Koranbibliothek ist im Grunde von ähnlicher prinzipiell wissensfeindlicher Qualität wie die der mesopotamischen Bestände im Nationalmuseum. Dieser Vorgang liefert im übrigen einen interessanten Aspekt zur Frage nach der Identität der Brandstifter. Während es durchaus möglich scheint, Muslime zur Zerstörung der Dokumente anderer Kulturen und Religionen aufzuhetzen, ist es unwahrscheinlich, daß sie Korane verbrennen. Die Ausrede der Besatzungsmacht, fanatisierte verarmte Muslime seien die Urheber der Verwüstungen und Brandstiftungen, dürfte im Fall der Koranbibliothek von vornherein schwer fallen.


5. Beobachtungen über den organisierten Charakter der Brandstiftungen

In einem anderen Artikel schreibt Fisk (Independent 17.04.03):

“..but something is terribly wrong when US soldiers are ordered simply to watch vast ministries being burnt by mobs and do nothing about it.

Because there is also something dangerous – and deeply disturbing – about the crowds setting light to the buildings of Baghdad, including the great libraries and state archives. For they are not looters. The looters come first. The arsonists turn up later, often in blue-and-white buses. I followed one after its passengers had set the Ministry of Trade on fire and it sped out of town.

The official US line on all this is that the looting is revenge – an explanation that is growing very thin – and that the fires are started by "remnants of Saddam's regime", the same "criminal elements", no doubt, who feature in the marines' curfew orders. But people in Baghdad don't believe Saddam's former supporters are starting these fires. And neither do I.

The looters make money from their rampages but the arsonists have to be paid. The passengers in those buses are clearly being directed to their targets. If Saddam had pre-paid them, they wouldn't start the fires. The moment he disappeared, they would have pocketed the money and forgotten the whole project."

Übersetzung:

“…aber etwas läuft fürchterlich falsch, wenn US-Soldaten befohlen wird, der Abfackelung großer Ministerien durch Mob einfach zuzusehen und nichts zu unternehmen.

Denn um die Banden, die die Gebäude Bagdads in Brand setzen, einschließlich der großen Bibliotheken und Staatsarchive, ist auch etwas Gefährliches – und tief Beunruhigendes. Sie sind nämlich keine Plünderer. Die Plünderer kommen zuerst. Die Brandstifter tauchen später auf, häufig in blau-weißen Bussen. Ich bin einem nachgefahren, nachdem seine Passagiere das Handelsministerium in Brand gesetzt hatten, und er fuhr aus der Stadt hinaus.

Die offizielle Linie der USA zu all diesem ist, daß die Plünderungen Racheakte seien – eine Erklärung, die sehr fadenscheinig wird -, und daß die Brände von ‚Überbleibseln des Saddam-Regimes’ gelegt würden, denselben ‚kriminellen Elementen’, die in den Ausgangssperre-Befehlen des Militärs auftauchen. Aber die Menschen in Bagdad glauben nicht, daß die früheren Unterstützer Saddams diese Brände legen, und ich glaube es ebenfalls nicht.

Die Plünderer setzen ihre Raubzüge in Geld um, aber die Brandstifter müssen bezahlt werden. Die Passagiere dieser Busse werden offensichtlich zu ihren Zielen geleitet. Wenn Saddam sie im Voraus bezahlt hätte, würden sie die Brände nicht legen. In dem Moment, wo er verschwunden ist, hätten sie das Geld eingesackt und das Ganze vergessen.“

Eine Macht wie die USA, die solche Dinge verantwortet, ist eine Gefahr für die gesamte Menschheit, nicht nur wegen ihrer Massenvernichtungswaffen, sondern wegen des hier durchscheinenden Fanatismus gegen die historischen Wissenschaften und die emanzipatorischen Mittel, die diese der menschlichen Entwicklung bereitstellen. Hier wird ein reaktionärer Wille spürbar, die Menschen mit Gewalt auf eine Mentalität vor der Aufklärung zurückzuwerfen. Es ist kein Zufall, daß der Präsident der USA mit religiös-fundamentalistischen Vorstellungen über den göttlichen Auftrag für die Aggressionskriege seines Landes aufwartet. Obwohl dies keinen Erfolg haben kann, weil die Menschheit inzwischen zuviel weiß und eine solche Weltdiktatur nicht möglich ist, muß man sich andererseits auch darüber Rechenschaft ablegen, zu welchen Verlusten diese Ultrareaktion führen kann und welche Anstrengungen nötig sein werden, um sie niederzuwerfen.

Redaktion Neue Einheit
- wgr -
21.04.03

 

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