Internet Statement 2006-12

 

Zur Frage der weltweiten Entwicklung der Nuklearenergie
und der Unabhängigkeit der Länder:


Indische Zeitungen empören sich über Bush

23.02.2006      

Bekannte indische Zeitungen wie „TheHindu" und andere greifen die jüngsten Ausführungen von George W. Bush zur Kernenergie auf, die in einer besonderen Weise auch Indien betreffen.
Im Sommer letzten Jahres hatte der indische Premierminister Singh die USA besucht, und es war zu Gesprächen gekommen, in denen die USA Indien umwarben. Indien sollte aus der „multipolaren" Koalition, die den US-Ansprüchen auf absolute Weltherrschaft einen gewissen Widerstand entgegensetzt, herausgebrochen werden. Indien war ein besonderes Objekt des Werbens von Bush. In diesem Zusammenhang hatte sich Bush auch anerkennend über die Entwicklung der Atomenergie in Indien geäußert. Indien ist seit langem eine eigenständige Macht in der Entwicklung der Kernenergie, die auch den Atomwaffensperrvertrag, der wirklich ein internationaler Vertrag zur Knebelung vieler kleiner und mittlerer Länder ist, niemals anerkannt hat. Und dies, obwohl Indien in früheren Jahrzehnten Hand in Hand mit den USA und insbesondere auch der Sowjetunion, mit Chruschtschow und Leonid Breschnew gegangen ist.

Jetzt hat Bush einen anderen Ton angeschlagen.

Die Frage der Kernenergie läßt sich aus dem internationalen Leben nicht mehr wegnehmen, die Industrialisierung großer Teile der Welt macht die Schaffung größter Energiemengen unentbehrlich, ohne die die Industrialisierung nicht laufen kann, ohne die infolgedessen auch das Kapital nicht laufen kann. Es geht daher um die Frage, wie soll die Atomenergie gesellschaftlich unter den heutigen Bedingungen organisiert werden. Für die USA ist es lebensnotwendig, soll ihr internationales Programm durchgeführt werden, soll die Industrialisierung unter ihrer Führung weitergehen, daß die Kernenergie bis zu einem gewissen Umfang entwickelt wird. Und nun wird natürlich die konkrete Vorstellung, wie die USA die Kernenergie international entwickeln wollen, nämlich unter ihrer Führung und Kontrolle, auf den Tisch gelegt - wie kann es denn auch anders zu erwarten sein. Bush, der den Iran herunterducken will, spricht plötzlich ganz anders auch von Indien. Er schlägt die Bildung eines Kartells aus USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und vielleicht noch anderen Ländern vor, die „fortgeschrittene Nuklearenergie-Programme" haben. Dieser Klasse der „fortgeschrittenen" Länder, bei der Deutschland bezeichnenderweise nicht mehr dabei ist, soll die Klasse der Länder gegenüberstehen, die „dabei sind, zivile Nuklearenergie-Programme zu entwickeln". Diese sollen – der entscheidende Punkt – den atomaren Brennstoff von jenen „entwickelten Ländern", den sog. „supplier nations" erhalten, und Bush stuft Indien nun im Gegensatz zu den Absichtserklärungen des Sommers 2005 unter diese Empfängerstaaten ein.

Das Modell des Atomwaffensperrvertrags wird hier auf die zivile Nutzung der Kernenergie übertragen. Die USA versuchen, bestimmte Staaten an sich zu binden, um das Gros der Staaten zu kontrollieren und gleichzeitig eine gewisse Entwicklung der Kernenergie zu ermöglichen.
Kein Wunder, daß der Staat Indien und die breite Mehrheit Indiens dies nicht akzeptieren können. Indien wurde buchstäblich herabgestuft, und es bekommt mehr oder weniger direkt die Empfehlung zu hören, es solle auf seine Anreicherung und Wiederaufarbeitung verzichten und sich in Zukunft den Brennstoff von den „erhabenen" „entwickelten nuklearen Ländern" liefern lassen, sprich: sich auf einen halbkolonialen Status zurückstufen lassen. Völlig zurecht wehren sich viele Staaten dagegen.

Bush handelt übrigens unter Zwang. Wenn er den Iran herunterdrücken will, dann kann er nicht in der Nachbarschaft ein Land zulassen, das die Atomenergie in der höchsten Weise entwickelt. Hier kommt auch unweigerlich das Moment, daß die Staaten der früheren sog. Dritten Welt zusammenhalten müssen, wieder zum Ausdruck.

Die Entwicklung der Atomenergie ist notwendig, das ist unzweifelhaft, aber wie sie sich entwicklen soll, wird unweigerlich Gegenstand des gesellschaftlichen Streits sein. Der Hegemonialanspruch irgendwelcher Staaten muß zurückgewiesen werden, die Staaten müssen auf eigenständiger Grundlage die Kernenergie entwickeln können. Und solche große Staaten wie Indien können das allemal.,

Noch reaktionärer als der Standpunkt Bushs und völlig abseitig von der geschichtlichen Entwicklung sind solche mickrigen, geschichtswidrigen reaktionären Kräfte, wie sie z.B. in Deutschland in bestimmten sog. linken Zeitungen auftreten und Bush nicht etwa wegen seines Monopolanspruchs angreifen, sondern daß er überhaupt es wagt, die Kernenergie in gewissem Umfang wieder zu propagieren. Das ist noch reaktionärer als Bush, das ist noch reaktionärer als Hegemonie, das ist der Wille, in Zustände von minimalem Wachstum oder gar Stillstand überzugehen und in die Verhältnisse des alten Kolonialismus und der primitivsten Formen der Ausbeutung zurückzukehren. Dies hat mit Progressivität garnichts zu tun. Es ist absurd, solch eine Forderung aufzustellen, solch eine Anklage zu erheben, wie sie hier bei den sog. Linken typisch ist, denn sie bedeutet nicht nur, daß Bush seinen Standpunkt zurückziehen soll, sondern auch, daß Indien, Venezuela und alle Staaten die atomare Entwicklung stillegen sollen, auf die sie zurecht stolz sind. War es nicht unlängst deutlich zu hören, wie stolz die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Irans ist, daß sie eine solche eigenständige Entwicklung vorhaben, und das trotz islamischer Diktatur?
Die Abwegigkeit des deutschen Standpunktes in dieser Frage, eines verbrecherischen Standpunkts der Selbstliquidation und der internationalen Liquidation, der von der Sozialdemokratie, den Grünen verkörpert und von fast allen bürgerlichen Parteien in erheblichem Maße geteilt wird, kommt hier zum Ausdruck.


Redaktion Neue Einheit

Artikel der indischen Zeitung The Hindu "Bush plan demotes India" (bereits für die Ausgabe vom 24.02.06)

 

 

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