Internet Statement 2006-31

 

Der 1. Mai 2006

Wieder ist ein 1. Mai herangerückt. Auch diesmal gibt es zahlreiche Aktionen. Aber überall gibt es einen harten Druck auf die Belegschaften, in vielen Betrieben werden Verschlechterungen erzwungen. Und diese alltäglichen Erfahrungen finden auf den verschiedenen Kundgebungen kaum einen Ausdruck.

Es gibt in vielen Orten Demonstrationen des DGB, der bundesweit einen Aufruf erlassen hat: „Deine Würde ist unser Maß“. Angesichts einer zunehmend brutalen Welt der Auseinandersetzung gibt es hier Flucht in schöngeistige Phrasen, eine Art Flucht aus der Realität. Da heißt es:
„Die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Widersprüche dürfen nicht länger ignoriert werden. Menschen dürfen nicht als Kostenfaktor behandelt werden “
Werden sie aber! Und zwar zunehmend dreister durch das internationale Kapital! Und weiter:
„- weder in der Wirtschaft noch in den sozialen Sicherungssystemen oder im Bildungswesen.“

Und genau da geschieht es überall vermehrt, und zwar auch und gerade seitens der tragenden Parteien, die eng mit dem DGB zusammenarbeiten!

Wie hilflos diese Leute angesichts der Situation sind! Jeden Tag werden Betriebe dichtgemacht, wird das Diktat verschärft auch in diesem Lande ausgeübt. Vor allem werden die Lebensgrundlagen ruiniert, die Leute mit Abfindungen abgespeist und damit der Jugend erst recht der Weg vermauert, indem kein Ersatz für die Betriebe geschaffen wird. Die sog. Dienstleistungsgesellschaft hat sich als Schimäre erwiesen. An die Stelle der Betrachtung der harten Wirklichkeit treten daher abgehobene „soziale“ Phrasen.

Es herrscht ein weltweiter Klassenkampf, so ausgeprägt wie noch nie! Das Kapital arbeitet daran, die Belegschaften, die Arbeitskräfte in den verschiedenen Ländern gegeneinander auszuspielen, bei den bisher relativ wohlhabenden Arbeitern der reichen Länder Lohnsenkungen in bisher unbekanntem Ausmaß durchzusetzen und die Werktätigen in den armen Ländern weiter herunterzudrücken, soweit es nur geht. Es schafft damit  neue internationale Potentiale an Arbeitern, die zum Widerstand fähig sind. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keinerlei koordinierende Kraft für die Arbeiter der Welt, derer man doch am 1. Mai gedenkt. Sozialdemokratie, sog. Globalisierungsgegner, die  Revisionisten - die Anhänger der früheren Sowjetunion, wie auch die Trotzkisten haben vollständig versagt. Ohnmächtig stehen diese Kräfte der heutigen Situation gegenüber.

2003 und 2004 gab es erste größere Demonstrationen. Es gab einen gewissen Aufschwung an Protest mit ganz elementaren Losungen wie: wir wollen die Hartz-Gesetze nicht! Dann aber blieben die Dinge stecken, da man bei der Forderung allein nicht bleiben kann, sondern auch auf die Hintergründe eingehen muß.

Dieser 1. Mai 2006 hängt auch deshalb in der Schwebe, weil die Regierung der großen Koalition auf Besänftigung macht und die großen Entscheidungen über die Verschlechterungen in den sozialen Einrichtungen auf das Jahr 2007 oder das Ende dieses Jahres verschoben hat. Gegenwärtig jedenfalls ist Beruhigung angesagt, eine Scheinruhe wird erzeugt, die eine Ruhe vor dem Sturm ist. Man hofft auf einen Aufschwung, der die desaströse Lage der Staatsfinanzen etwas mildert, der die Steuereinnahmen steigert und noch einmal das Schlimmste abwendet. Aber damit ist nicht wesentlich zu rechnen. Die prinzipielle Krise, die unter der Schröder-Regierung deutlich geworden ist, wirkt weiter, solange nicht die Wurzeln dieser ganzen Politik und ihre Grundlage bekämpft sind.

Unter der Schröder-Regierung wurde die Liquidation der Betriebe massiv beschleunigt. Jetzt sitzt Schröder als Vertreter von Gazprom als Aufsichtsrats-Vorsitzender in der Pipeline-Gesellschaft. Wie treffend! Schröder hat die Politik der Beherrschung dieses Landes wie auch des ganzen industriellen Kontinents durch Mächte der Bodenschätze, wie z.B. Rußland eine ist  und wie auch die USA vermittelst ihrer Herrschaft über das mittelöstliche Öl eine ist, gestärkt. Erst kündigte die neue Regierung an,  die Beziehungen zu den USA zu verbessern, um im nächsten Moment auch mit Rußland eine enge Partnerschaft zu beginnen. Sie sitzt unwillkürlich zwischen mehreren Stühlen. Wesentlich hat sich gar nichts geändert. Die bürokratische Lähmung, die noch ein besonderer Faktor ist, wird bis jetzt nicht überwunden. Dieses ökonomische und politische Kartenhaus kann schnell zusammenbrechen! Man muß also mit harten Auseinandersetzungen rechnen.

Es gibt heute im ganzen Land ein Unzahl von Zirkeln, die sich mit Fragen wie gesetzlichem Mindestlohn befassen, als wenn das irgendetwas nützen könnte. Die Liquidation vieler Betriebe hier hängt mit der radikalen Konkurrenz, die sich weltweit entwickelt, wie auch dem weltweiten Billiglohn-Arbeitsangebot zusammen. Es gibt nur eine Waffe, und das ist der Zusammenschluß.

Wir beobachten die Flucht aus der Wirklichkeit nicht nur in dem Aufruf des DGB zu dem diesjährigen 1. Mai. Am 29. April hatte der IG Metall-Vorsitzende Peters eine ausführliche Diskussion im „Inforadio rbb“. Darin behauptete er erneut, daß, wenn auch in diesem oder jenem Fall ein Betrieb auch einmal entschieden habe, aus Gründen der billigeren Arbeitskraft ins Ausland zu gehen, in der Hauptsache sei dies aus Gründen der Markteroberung geschehen.  

Seit 30 Jahren sehen wir, daß neue industrielle Staaten entstehen mit Arbeitskräften, die nicht um das Zehnfache, sondern um das Fünfzigfache billiger sind als in diesem Land und dies auch bei steigender Ausbildung und Qualifikation. Millionen von Arbeitsplätzen wurden hier liquidiert, die Konzerne machen 80% ihres Riesenreibachs aus ihren ausländischen Beschäftigten, und da kommt ein IG Metall-Vorsitzender daher und behauptet,  die internationale Konkurrenz in der Arbeitskraft, die Dumpinglöhne, die in Asien, in Osteuropa oder anderswo erzwungen werden, spielten keine entscheidende Rolle bei der Frage der Betriebsverlagerungen aus diesem Land. 30 Jahre lang Verleugnung von Wirklichkeit bis hin zur Absurdität!  Da waren wir schon einmal weiter. Im Jahre 2003 und 2004 gab es viele Gewerkschafter, die dieses prinzipielle Problem erkannten. Und dieses Problem fordert auch etwas von uns, von der gesamten Gewerkschaftsbewegung: Daß man mit allen Mitteln versucht auch an diese neuen Arbeitskräfte heranzukommen, daß man alle politischen Bedingungen bekämpft, die ihnen die gemeinsame Organisierung verwehrt.

Eine weitere Entgegnung von Peters: der Lohnanteil bei den großen Betrieben, etwa in der Autoindustrie, mache nur noch 17% oder gar nur noch 14% des gesamten Umsatzes aus. Der Gewinn wird aber aus den Löhnen herausgeholt.

Je größer die Ausgaben für die Maschinen, für den Verkauf, für die globale Logistik usw. sind, desto mehr steigt der Druck für das große Kapital, alles aus dem Lohn herauszuholen, um alle die riesigen Vorgaben an Kapital finanzieren zu können und dennoch eine nennenswerte Gewinnmarge zu haben. Warum sind denn die Löhne in Indien, China,  in Osteuropa usw. so niedrig? Warum drückt denn das Kapital mit aller Gewalt den Lohn herunter, wenn nicht aus dem Grund, daß es ständig dem tendenziellen Fall seiner Profitrate entgegenwirken muß? Aber wir in Deutschland sind ja davon unberührt, wir können getrost so tun, als wenn wir hier außerhalb der Realität stehen. Und gerade dieses Außerhalb der Realität Stehen ist das, was jede Arbeiterbewegung hier allmählich systematisch kaputtmacht und nicht wieder hochkommen läßt, wo sie längst aufzutreten hätte.


Was kann man tun?

Immer wieder kommt die Frage, was denn zu tun sei. Ein solcher Apparat wie der Deutsche  Gewerkschaftsbund oder die Gewerkschaftsbewegungen in Westeuropa überhaupt, mit ihren Erfahrungen und theoretischen Kenntnissen hätten von den politischen Bedingungen her sehr wohl die Möglichkeit zum Eingreifen. Warum macht man nicht einmal eine Konferenz der Gewerkschafter in ganz Europa, insbesondere auch derer aus Osteuropa, und greift die ganzen Attacken des Kapitals, insbesondere die rechtlosen Zustände in Osteuropa entschieden an, greift das Regime der EU an, das dies betreibt, greift die Menschenrechts-Phrasen an, hinter denen konkret die wirklichen Rechte untergraben und zerstört werden? Gibt es nicht dort Millionen von Arbeitenden und Arbeitslosen, die jede Art von Entrechtung ertragen müssen? Nein, es ist die Zusammenarbeit mit dem ganzen Staat, mit der ganzen internationalen Herrschaft des Kapitals, die die Führungen der Gewerkschaften auszeichnet und sie unfähig macht, dagegen zu ziehen, und nicht die Unmöglichkeit, irgendwelche Aktionen zu finden.

Die großen Kräfte des Kapitals, die Finanzoligarchie, die Konzerne, die über die Bodenschätze verfügen, dirigieren heute das Land und drücken alles herunter, sogar den industriellen Mittelstand, der wiederum den Druck auf die Arbeiter weitergibt.  

Widerstand ist angesagt, politische Einfältigkeit aber führt mit Sicherheit weiter in den Abgrund. Darüber können ein paar Monate der Ruhe unter der jetzigen Regierung nicht hinwegtäuschen.  

Die jetzige Zeit bringt eine Menge Sachen an den Tag. Es kommt Klarheit in die Kernenergiefrage. Gegenwärtig sind diejenigen, die jahrzehntelang gefordert haben, daß man die Kernenergie weltweit stillegen soll, dabei zu betonen, daß der Iran ein Recht auf die Entwicklung der zivilen Nutzung der Kernenergie hat. Und in der Tat entwickelt sich weltweit die Kernenergie als notwendiger Bestandteil der Energieversorgung für eine sich weiter industrialisierende Welt. In China, in Indien, in Malaysia, in vielen asiatischen Staaten, in Teilen Afrikas, in Lateinamerika usw. usf., und nicht zuletzt auch in Europa. Und unsere Helden aus 30 Jahren alternativen und Anti-AKW-Kampfes haben es hervorragend erreicht, daß wir uns von der Entwicklung abgekoppelt haben und uns selbst zum Weg rückwärts verdonnert haben.

Was heute in Deutschland passiert, ist nicht von ungefähr gekommen, sondern auch Folge von 30-jähriger Kampagne, von 30-jähriger Verdummung, und zur Entschuldigung kann man allerdings bei den vielen, die daran teilgenommen haben, sagen, daß die ganze Sache von oben her, aus den Medien, aus dem Überbau und aus der staatlichen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und aus den Verbindungen mit den USA und der damaligen Sowjetunion entstanden ist.

Heute fordert – im übrigen unbedingt zurecht – der Iran, daß er ein Recht auf Anreicherung und Wiederaufarbeitung hat, was ihm andere Staaten bestreiten wollen. Natürlich ist es problematisch, wenn Islamisten so etwas machen, aber das prinzipielle Recht auf eine selbständige Entwicklung hat jedes Land.

 
Redaktion Neue Einheit

 

 

 

 

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