Internet Statement 2019-30

 

 

 

Von wegen die soziale Theorie von Marx und Engels ist passé. Sie ist aktueller als je zuvor

An kaum einer sozialen Frage wird das so deutlich und existentiell dringlich, wie an der Wohnungsfrage

 

 

 

Maria Weiß  06.06.2019

Der Tagesspiegel in seiner Ausgabe vom 1. Juni bringt auf der ersten Seite eine hoch interessierende Frage, welche da lautet: Wem gehört Berlin? Ja, wem gehört denn Berlin? Berlin gehört den Berliner Bürgern insgesamt. Aber diese Bürger spalten sich eben von ihrer materiellen Grundlage her in Eigentümer und Besitzlose, wie überall im ganzen Land als auch in großen Teilen der heutigen Welt. Darin liegt aber zugleich ein fundamentales Problem. Und das ist das Problem der Eigentumsverhältnisse in den diversen Gesellschaften auf der ganzen Welt. Das ist bis heute nirgendwo dauerhaft gelöst. Es hat zwar geschichtlich betrachtet Ansätze gegeben, dieses Problem im Sinne der Mehrheit zu lösen. Aber bislang, muß man leider sagen, sind sie alle gescheitert. Stellt sich die Frage: Warum? Dieser Frage sollte man nachgehen.

 

Geht man dieser Frage geschichtlich betrachtet nach, dann kann man sehen, daß schon seit sehr langer Zeit in dieser Hinsicht soziale Kämpfe existieren und auch soziale Systeme existieren, welche aber immer wieder abgelöst wurden von neuen Systemen. Diesen Prozeß kann man keineswegs als beendet betrachten mit den gegenwärtigen Eigentumsverhältnissen, welche bestehen im Besitz an Grund und Boden als auch an den Produktionsmitteln in den Händen einer relativ geringen Zahl an Menschen im Vergleich zu den Milliarden der Mehrheit, mittels derer diese aber eine Macht über die gesamte Gesellschaft auszuüben gewohnt sind. Daß ein derartiger Widerspruch auf die Dauer keinen Bestand haben kann, liegt auf der Hand.

 

Wen nun der Tagesspiegel diese Frage aufwirft, dann ist das natürlich berechtigt. Die Frage ist allerdings, in wessen Sinn er das tut. In der Tat gibt es einen unversöhnlichen Widerspruch zwischen Denjenigen – in Berlin aber nicht nur hier, sondern überall, in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt – welche die Eigentümer an dem Besitz an Grund und Boden als auch an den Produktionsmitteln in der Gesellschaft sind, gegenüber all denjenigen unzähligen Menschen, welche derartige Privilegien nicht haben. Dieses Problem stellt sich natürlich nicht erst heute, es ist weit mehr als ein Jahrhundert her, daß diese Frage gestellt worden ist, aber leider ist bis heute keine dauerhafte Lösung erreicht worden.

 

Nun ist es aber so, daß vor allen Dingen in der Frage des Eigentums an Grund und Boden sich zugleich auch die ganze Wohnsituation der Bevölkerung widerspiegelt und sich in einer ganz besonders rigiden Form stellt. Und daß diese aufbricht, ist nur allzu normal. Gegenwärtig explodieren die Grund- und Bodenpreise, denn Berlin ist hipp, und infolgedessen explodieren die Wohnungspreise nicht nur für Eigentumswohnungen sondern vor allem auch für die Mietwohnungen, für die Mieter in diesen Wohnungen, welche die weit überwiegende Zahl in dieser Stadt ausmachen. Das hat sich zu einem erheblichen Problem zugespitzt, vor allen in den letzten beiden Jahrzehnten, und welches auch bereits zu erheblicher Wohnungslosigkeit in dieser Stadt – nicht nur in Berlin sondern auch an vielen anderen Punkten im Land – geführt hat. In Berlin betrifft diese inzwischen mehrere zehntausend Menschen.

 

Es wird daher auf die Dauer unvermeidlich, auch die Frage des privaten Eigentums an Grund und Boden erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Der Kapitalismus kann diese Frage nicht lösen. Das dürfte wohl nicht erst seit gestern feststehen. Nur leider ist es eben so, daß bislang all diejenigen Versuche, die gesellschaftliche Ursache dieses Problems, das System des Privateigentums an Grund und Boden und an den Produktionsmitteln – kurz den Kapitalismus – zu überwinden, gescheitert sind, ein bedauerliches Faktum, welches dieser natürlich für sich in Anspruch nimmt, um zu sagen: Es geht eben nicht anders, das Ausbeutungssystem ist unveränderbar, und das muß eben akzeptiert werden. Das stimmt aber nicht. Das müssen wir gar nicht akzeptieren, weil es für die weit überwiegende Mehrheit kein Konzept ist, welches ihren Lebensinteressen und ihrer Weiterentwicklung als auch dem sozialen Fortschritt der Gesellschaft insgesamt in keiner Weise gerecht werden kann.

 

Es ist daher mehr als berechtigt, mehr noch es ist unabdingbar, daß man diese gesellschaftliche Frage des Privateigentums an Grund und Boden als auch an den Produktionsmitteln auch in weitergehenden Kämpfen und Auseinandersetzung angeht. Es kann auch nicht dagegen angeführt werden, daß die geschichtlichen Versuche, dies zu ändern, bislang allesamt gescheitert sind. Das

ist doch nichts Ungewöhnliches in der Menschheitsgeschichte, daß sich ein fortschrittliches Gesellschaftssystem nicht auf einen Schlag durchgesetzt hat. Das war doch auch bei früheren Gesellschaften nicht so, das war auch im Feudalismus nicht und es wird in Systemen, die dem Kapitalismus gegenüber überlegen sind, erst recht nicht so sein. Letzterer hat sich auf der ganzen Welt ausgebreitet, oder auch wieder ausgebreitet, und versucht daraus seine Rechtfertigung zu ziehen. Das hat aber letztendlich kurze Beine, denn er kann keine Rechtfertigung aus dem Umstand ziehen, daß der weitaus überwiegende Teil der Menschheit auf die Dauer dazu verurteilt sein soll, sich einer Minderheit unter zu ordnen und für diese zu ackern, zu deren überwiegendem Vorteil zu arbeiten und die eigenen Ansprüche auf der Strecke zu lassen.

 

Daß das nicht funktioniert, das kann man gegenwärtig vor allem in Afrika studieren. Aber auch in anderen Teilen der Welt. Das ist ja auch gar nicht logisch, daß dem so ist und schon gar nicht bleibt, denn es wird der Mehrheit auf der Welt und ihrem Anspruch auf Fortschritt nicht gerecht. Und daß dies eben genauso ist, das widerspiegelt hierzulande in aller Deutlichkeit gegenwärtig vor allem die Wohnungsfrage. Nicht nur in Berlin ist das der Fall, sondern auch an vielen anderen Punkten im ganzen Land. Darüber sollte man sich mal Gedanken machen, um zu sehen, welche praktischen Schlußfolgerungen daraus immer notwendiger werden. Das System des Kapitalismus ist nicht im Stande, diese Frage für die weit aus überwiegenden Mehrheit der Menschen zu lösen. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und an Grund und Boden ist dazu dauerhaft nicht im Stande. Es wird immer nur einzelnen Vertretern desselben dienen, nicht aber ist es in der Lage, der Mehrheit und deren Ansprüchen zu genügen. Linke Kräfte, welche ihren Anspruch ernst nehmen, sollten sich dieses Umstandes bewußt sein und praktische Schlußfolgerungen daraus ziehen. Leider merkt man davon viel zu wenig. In Berlin zum Beispiel ist wiederholt eine sich als links verstehende Crew mit in der Regierung. Was haben sie denn getan, in dieser Hinsicht? Wo haben sie daran gearbeitet, dieses Wohnungsproblem in dieser Stadt zu lösen? Davon war so wenig zu bemerken gewesen, daß man diesen Umstand schon fast vergessen hat.

 

 

 

Mit Ökologismus, welcher gegenwärtig hierzulande einen Sieg nach dem anderen zu feiern scheint, läßt sich dieses Problem der Wohnungsknappheit erst recht nicht lösen. Letzterer dient eher noch dem Gegenteil. Selbstverständlich sind wir auch der Ansicht, daß diese Erde erhalten bleiben muß. Aber was nützt eine Erde, welche nur erhalten bleibt für einige Wenige, die Mehrheit aber krepiert, und zwar nicht wegen ein oder zwei Grad Erderwärmung, sondern aus ganz elementaren gesellschaftlich bedingten Gründen. Was nützt es mir, wenn ich kein Dach über den Kopf bekomme, weil es unerschwinglich wird? Dem gegenüber erscheint eine Erderwärmung ja eher noch erstrebenswert. Fridays for Future kennt offenbar kein Wohnungsproblem. Dafür haben sie aber ein anderes, und zwar das des sozialen Verständnisses. Vielleicht sollte sie ja mal versuchen, das zu ändern und mal Rapper für den sozialen Umsturz auf die Bühne bringen. Sowas kann auch ein Rapper zustande bekommen, die Frage ist allerdings, ob er das will. Was wir brauchen ist eine ganz neue Art von Kulturrevolution, nicht jedoch ein Anbeten von Mainstreams, welche hintenrum vom internationalen Finanzkapital gesponsert werden.

 

 

 

 

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