Internet Statement 2022-113

 

 

Wer vom russischen Imperialismus spricht, der darf über den westlichen Imperialismus nicht schweigen!

 

Uwe Müller 27.06.2022


„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“
Clausewitz


Die wohl größte Lücke bei der Kriegspropaganda des mainstream aus Politik und Medien über den Krieg in der Ukraine besteht meiner Ansicht nach darin, daß sie den US-amerikanischen Imperialismus und seine Rolle bei diesem Krieg völlig ausblendet. So, als ob es den westlichen Imperialismus unter Führung der USA gar nicht gäbe. Die Politik der USA, der EU und der NATO, die diesem Krieg jahrelang voranging, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wird geflissentlich ausgeblendet. Ohne diese jedoch zu betrachten und zu beleuchten, ohne auch den historischen und kulturellen Hintergrund der besonderen Beziehung zwischen der Ukraine und Rußland zu beachten, kann man die jetzige Eskalation aber gar nicht verstehen. Diese Lücken und Ausblendungen müssen Gründe haben, und so möchte ich hier einen Anstoß geben, darüber einmal nachzudenken, warum und zu welchem Zweck das so ist.

Die Kriegspropaganda auf beiden Seiten läuft seit Monaten auf vollen Touren. Im Mainstream aus Politik, Medien und sog. Experten hierzulande - und in den „westlichen“ Ländern nicht weniger - ist ausschließlich die Rede vom russischen Imperialismus (einzelne Ausnahmen bestätigen nur die Regel). Es ist permanent die Rede vom bösen oder gar durchgeknallten Putin, der die Ukraine vernichten will, der Rußland wieder zur alten imperialen Größe à la Zarismus führen wolle usw. Man habe es ja schon immer gewußt, Rußland ist die Bedrohung für die ach so demokratische, freiheitliche und friedliebende kapitalistische Welt, dem sog. Westen mit den USA als Anführer. Wie in den Zeiten der Sowjetunion und später des Systems der beiden Supermächte im kalten Krieg wird Rußland wieder zum absoluten Feindbild erklärt. Alles Russische wird verdammt, Russen/innen werden drangsaliert und regelrecht per Gesinnungsterror gezwungen, Stellung gegen Putin und die Politik Rußlands zu beziehen.

Die Grünen stechen bei der Kriegspolitik und Kriegspropaganda besonders hervor, seien es Baerbock, Habeck oder Hofreiter. Strack-Zimmermann von der FDP und Merz von der CDU stehen dem allerdings kaum nach. Drauf auf Putin, feste drauf auf die Russen, so schallt ihr Schlachtruf und der des überwiegenden Teils der hiesigen Medienlandschaft seit Wochen. Kriegspropaganda. Kaum ist ein Embargo gegen Rußland beschlossen, so wird schon über das nächste debattiert. Waffenlieferungen können nicht schnell genug gehen, und sind denen immer noch zu wenig. Jeder Wunsch der ukrainischen Regierungsvertreter nach immer mehr und schwereren Waffen soll schleunigst erfüllt werden. Die EU nimmt sogar noch weitere hunderte Milliarden Schulden auf, um den Krieg einseitig weiter zu befeuern. Für sie alle ist die Sache klar, Putin und die Russen sind die Bösen, Selenskyj und der "Westen" sind die Guten, sind Helden im heroischen Abwehrkampf gegen den russischen, autoritären Feind. Kritik an der ukrainischen Regierung? Fehlanzeige. Nicht zugelassen, so scheint es.

Aber auch Kanzler Scholz, der zumindest halbwegs versucht hat, nicht völlig bedenkenlos alle Wünsche der ukrainischen Seite nach Voll-Embargo russischer Gas- und Öllieferungen oder nach Waffenlieferungen ohne Begrenzung zu erfüllen, spricht lediglich vom „Putinschen Imperialismus“, den es zu bekämpfen gilt, vom US-amerikanischen oder europäischen schweigt er ebenso beharrlich wie dezent. Staatspräsident Steinmeier geht noch weiter und spricht von „Nationalismus, Völkerhass und imperialem Wahn“ - und er meint damit Rußland und nicht die USA, obwohl diese doch viel stärkere imperiale, hegemoniale Ambitionen haben und seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die „new world order“ ausgerufen haben, mit den USA als einzige hegemoniale Supermacht auf dem Globus. [1]


Nun kann man entgegnen, Putin ist aber doch eindeutig der Aggressor, er bricht das Völkerrecht und führt einen Angriffskrieg gegen die unabhängige Ukraine in dem nicht nur unzählige Soldaten auf beiden Seiten, sondern auch viele Zivilisten zu Tode kommen. Dem muß doch mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden, die Ukraine muß sich doch verteidigen, oder etwa nicht? Das stimmt.

Aber heißt das nun, daß Putin bzw. Rußland damit automatisch der alleinige Verantwortliche dieses Krieges ist? [2] Nein.
Die Erzählung der westlichen Kriegspropaganda, daß Rußland der allein Schuldige, die Ukraine - mit ihren Verbündeten aus dem sog. Westen - aber das völlig unschuldige Opfer ist, ist verlogen und scheinheilig. Der westliche Imperialismus unter Führung der USA hat ebenso eine große Mitverantwortung an der Eskalation dieses eigentlich innereuropäisch zu lösenden Konflikts. Seit jeher, seit der russischen Revolution 1917, verfolgt der USA-Imperialismus eigene imperialistische Interessen in Rußland und im Osten.

Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte, so auch dieser. Er kommt nicht aus heiterem Himmel, er ist auch nicht im luftleeren Raum entstanden. Und diese Vorgeschichte gilt es zu untersuchen. Insbesondere auch die internationale Gemengelage - politisch, ökonomisch, geo-strategisch und militärisch - kann dabei nicht außen vor gelassen werden. Zugegeben, das ist mühsam und schwierig, da es komplexe Zusammenhänge sind und einiges an Kenntnis erforderlich ist. Ohne aber all dies zu tun, ist man der Propaganda beider Seiten hilflos ausgeliefert und Spielball des Imperialismus - des westlichen oder des russischen.
Immer auch muß die Frage gestellt werden: Wem nützt der Krieg? Wer hat daran ein Interesse? Und wie immer sollte für einen fortschrittlichen Menschen der Ausgangspunkt oder Standpunkt immer sein: Wie ist der Krieg und die Sachlage im Gesamtinteresse der Mehrheit der Weltbevölkerung zu bewerten?

Wer vom russischen Imperialismus spricht, der darf über den westlichen Imperialismus nicht schweigen!

Wer für die Freiheit der Ukraine und aller Völker eintritt, muß jeglichen Imperialismus - egal welcher Couleur - bekämpfen!

 

 


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[1] Sehr aufschlußreich hierzu ist der Artikel von Hartmut Dicke: Wie ist es geschichtlich zum heutigen US-Machtmonopol gekommen? - Die Rolle des modernen Revisionismus vom 4.3.2003.


[2] Stellt man lediglich diese Frage, wird man schnurstracks als Putin- oder Rußlandversteher in die Ecke gestellt. Im besten Falle ist man naiv und dumm, im schlimmeren Fall wird man gar als Agent Putins beschimpft. Das ist glatte Erpressung der Herrschenden und der Medien, das ist Meinungsterror, dem man sich natürlich nicht beugen darf. Diese Erpressung in Bezug auf Rußland existiert nicht erst seit der neuerlichen Eskalation.
Leider gibt es unter hiesigen Historikern und Journalisten nur sehr wenige, die demgegenüber dennoch bemüht sind, den Dingen auf den Grund zu gehen und allseitig zu behandeln. Als Beispiel sei hier die langjährige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, angeführt, die 2015 in ihrem Buch „Rußland verstehen - Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“. Das Buch ist absolut lesenswert und zeigt in groben Zügen die Politik des sog. Westens gegenüber Rußland seit den 90er Jahren im Allgemeinen und speziell im Kampf um die Ukraine auf.

 

 



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