Internet Statement 2017-84

 

 

Eine völlig überflüssige „Leitkultur“ unter Mißachtung der Geschichte und der Kultur dieser Nation

Eine etwas ausführlichere Auseinandersetzung mit den Vorstellungen des Berliner SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh für eine „neue Leitkultur“

 

 

Wassili Gerhard  15.08.2017   

 

I. Ist die deutsche Nation das Produkt einer historischen Entwicklung, oder ist sie religiös definiert?

 

Wir brauchen niemanden, der hier her kommt und uns eine schöne neue Leitkultur konstruiert. Überhaupt ist eine „Leitkultur“ etwas Unnötiges. Es hat sich hier im Laufe von Jahrhunderten eine spezielle Kultur und Mentalität herausgebildet, ein nationaler Zusammenhang entwickelt, aber das hat sich nicht irgend jemand ausgedacht, das hat sich entwickelt und hört auch nicht auf, sich weiter zu entwickeln, nimmt auch ständig neue Elemente auf. Das wird jedenfalls nicht von oben herab verordnet. Man wird nach der Lektüre der ganzen Vorschläge des Herrn Saleh in seinem Buch „Ich deutsch - Die neue Leitkultur“ den Eindruck nicht los, daß hinter diesem Buch eine Vorstellung steckt, daß es ohne religiöse Vorschriften, oder zumindest solche, die aus dem religiösen Bereich abgeleitet sind, nicht geht. Das mag er selbst so sehen, da er aus einem sehr islamisch geprägten Kulturkreis kommt. Aber die Mehrheit hier hat sich dem nicht anzupassen. Seine Vorschläge sind auch nicht gerade auf eine große Resonanz gestoßen, wie auch der jüngste Vorstoß der Kommission unter Vorsitz der engen Beraterin von Merkel Frau Özoguz, die übrigens auch vertritt,

 

„eine ‘spezifisch deutsche Kultur’ sei ‘jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar’“ (so zitiert im Tagesspiegel vom 01.08.2017, Hervorhebung von mir.)

 

Wenn wir uns den Regierungsstil von Frau Merkel ansehen, irgendwann plötzlich „alternativlose“ Entscheidungen zu treffen, ist es angebracht, so etwas nicht unerwidert im Raum stehen zu lassen. Es ist in der Welt, wurde weit verbreitet und muß zurückgewiesen werden. Saleh vertritt etwas Ähnliches:

 

Deutschland ist ja ein Land, was ja im Grunde genommen sich dadurch auszeichnet, daß es gar keinen richtigen alten BegriffAnm.1 von Deutschsein gibt. Deswegen muß man was Neues definieren. Deutschland war immer ein Zuzugsort für verschiedene Menschen. Deutschland war immer ein Land, wo die Menschen immer wieder durchkamen aus Europa.“ (Interview im Inforadio am 15.07.2017 https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/zwoelfzweiundzwanzig/201707/140993.html, Hervorhebung von mir.)

 

Hier wirft die Moderatorin bei dem langen und ausführlichen Interview mit Inforadio, das ich hier auch mit heranziehe, ein, Deutschland sei doch eine Kulturnation. Er wiederholt das und fährt weiter fort. Als sei „Kulturnation“ ein Etikett ohne inhaltliche Bedeutung. Das ist möglicherweise nicht zufällig, denn daß er überhaupt ein Verständnis für den Charakter einer Nation hat, kann man bei folgenden Ausführungen in seinem Buch schon bezweifeln:

 

„Eine Gesellschaft funktioniert nur dann und hat nur dann eine Zukunft, wenn sie auf einen Gemeinsinn orientiert ist. Wenn es etwas Gemeinsames gibt, etwas Verbindendes. Etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen, wofür man das eigene Vorteilsdenken zurückstellt. Dieses Verbindende wird in den modernen Gesellschaften künstlich herzustellen versucht, durch das Prinzip der Nation. Nur wenn die Angehörigen einer Nation es für erstrebenswert halten, sich für die Gemeinschaft, sich für den anderen einzusetzen, wird es vorangehen. Als emotionaler Kitt dient der Patriotismus.“ ("Ich deutsch" Seite 26, Hervorhebung von mir.)

 

Das ist nicht einfach nur künstlich, das hat weit zurück liegende Wurzeln. Es mag sein, daß eine Europäisierung und Globalisierung die Kulturen im Kern von Europa stärker einander angleicht, so wie es auch einen weltweiten Prozeß in dieser Hinsicht gibt. Diese Angleichung ist auch grundsätzlich zu begrüßen. Aber das läßt die hiesige Kultur auf jeden Fall erheblich verschieden sein von den Kulturen vieler Einwanderer, insbesondere solcher aus islamisch geprägten Ländern. Diese treffen hier auf eine Gesellschaft, in der die Bedeutung von Stämmen und Clans keine nennenswerte Rolle mehr spielt, es eine gründliche Kritik der Religion gegeben hat und auf dem Gebiet der Ethik, der Kultur und sowieso der Wissenschaft die geistige Herrschaft der Kirche seit langem überwunden wurde. Hier laufen den offiziellen Kirchen in Scharen die Mitglieder weg, eine große Mehrheit der Deutschen ist zum Beispiel auch gegen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Trotzdem deklamiert Saleh:

 

„Das moralische Fundament lieferte in vergangenen Generationen vor allem die Religion. Für die überwiegende Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen müssen wir daher das Christentum heranziehen. Es hat die Familien über Jahrhunderte entscheidend geprägt.“ (Aus „Ich deutsch“)

 

Welche Bedeutung kommt den Worten „in vergangenen Generationen“ zu? Dies muß er schreiben, damit das nicht so unangenehm aufstößt, aber dann übergeht er im weiteren den Fakt dahinter, daß das eben heute nicht so ist, vergißt aber nicht, eine Prägung über Jahrhunderte einzuflechten, um dem Ganzen so mehr Bedeutung zu geben. Das ist übrigens aus seinem Buch, wo er an den Aussagen feilen konnte und solche Konstruktionen erstellen. Hier kommt die Anpassung der Gesellschaft an die Bedürfnisse nach größerer Bedeutung der Religion deutlich heraus. Es wäre eher an der Zeit, die Säkularisierung weiter zu treiben, daß Religion noch klarer eine private Angelegenheit ist und vom Staat getrennt ist, und die Privilegien, die den großen Kirchen in vergangenen Kuhhandeln zugestanden wurden, als ihr Einfluß noch viel größer war, weiter zu reduzieren.

 

Von dem hiesigen Entwicklungsstand der Säkularisierung profitieren doch eigentlich auch die Einwanderer mit anderen Religionen, denn in einer Zeit, als hier die Kirche eine größere Bedeutung hatte, wäre eine solche Einwanderung von Muslimen undenkbar gewesen. Aber wenn sie dann hier sind, soll sich alles ihnen anpassen? Ein gewisses Messen mit verschiedenen Maßstäben ist bei einem Teil der Einwanderer aus muslimisch geprägten Staaten unübersehbar. Während sie für Akzeptanz dafür werben, daß es dort eine Gegenbewegung zur Globalisierung und zur Bewahrung alter, vom Islam geprägter Strukturen und Denkweisen gibt, was im radikalen Islamismus seine extremste Ausprägung hat, der ursprünglich vor allem von gesellschaftlichen Kräften ausgeht, die auf den alten Strukturen ihre privilegierten Positionen aufgebaut hatten, aber nicht unwesentlich auch von imperialistischen Kräften gegen Bewegungen zur sozialen und nationalen Befreiung genutzt und gestützt wird, verlangen sie hier von der Bevölkerung eine Akzeptanz solcher rückwärtsgewandter Bestrebungen. Nein, die abnehmende Bedeutung der Religion ist unbedingt ein Fortschritt und muß verteidigt und weiter ausgebaut statt rückgängig gemacht werden. Im umgekehrten Verhältnis zur realen Entwicklung steht allerdings, wie in den Nachrichtenmedien die Bedeutung der Kirchen herausgestellt wird, denn die herrschenden Klassen vermissen deren Einfluß anscheinend schon. Auch die USA sehen das gar nicht gern, wenn die Religion immer weniger eine Rolle spielt, so wie z.B. auch in Putins Rußland die Stellung der alten, mit dem Zarismus eng verknüpften orthodoxen Kirche wieder gestärkt wird.

 

Da hat mancher hier Eingewanderte im Ursprungsland Vorschriften gehabt für alle möglichen normalen Verrichtungen des Alltags, er brauchte religiöse Instanzen zum Heiraten oder Bestatten eines Angehörigen, Religion von der Wiege bis zur Bahre. Manche religiösen Lehrer gehen sogar so weit, wie herum man im Bett zu liegen hat, wollen angebliche persönliche Eigenschaften und Angewohnheiten Mohammeds von vor 1500 Jahren zur Norm machen, die in irgendwelchen alten Berichten, „Hadithe“ genannt, niedergeschrieben sind, die für islamische Religionslehrer zumeist genauso zu den Vorschriften der Religion gehören, wie der Koran. Und dann kommt man in ein Land, wo plötzlich niemand den Regeln einer Religion folgen muß. Viele kommen damit sehr gut zurecht, zumal ihnen ja nicht vorgeschrieben wird, was sie zu denken und zu glauben haben, aber Herr Saleh anscheinend nicht. Er braucht neue Richtlinien, Leitkultur genannt, abgeleitet aus den großen Weltreligionen, insbesondere solche, in denen er Gemeinsamkeiten mit dem Islam zu entdecken meint. Und die sollen dann für alle hier gelten, auch die eingesessene Bevölkerung. Für eine solche Art von Beglückung durch „Leitkultur“ danken wir wirklich sehr. Er stellt das auch tatsächlich selbst als eine Beglückung dar. In seinem Buch schreibt er über den Zweck seiner Vorstellungen:

 

„Erfolgreich ist unsere neue deutsche Leitkultur, wenn sie ein friedliches, angstfreies, gerechtes Miteinander aller 82 Millionen Deutschen in größtmöglicher Harmonie gewährleistet.“ (Aus „Ich deutsch“)

 

Herr Saleh sollte die eigenen Ansprüche lieber einmal etwas niedriger hängen, was die Beglückung dieses Landes betrifft. Es ist ja zu begrüßen, wenn Leute, die hier eingewandert sind, daran teilnehmen, sich Gedanken über die Zukunft des Landes zu machen und nicht einfach nur ihre eigene Parallelkultur entwickeln, aber das kann nicht einfach über die hier ansässige Nation hinweg diktiert werden und eine Rückentwicklung angeordnet werden. Letztlich soll sich die Mehrheit an die islamische Parallelkultur anpassen und sich an der Stellung, die dort die Religion einnimmt, orientieren. Das würde wichtige Errungenschaften der hiesigen Entwicklung rückgängig machen. Ich will ihm hier zur Verdeutlichung ein Zitat von Marx entgegenhalten:

 

„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!

Selbst historisch hat die theoretische Emanzipation eine spezifisch praktische Bedeutung für Deutschland. Deutschlands revolutionäre Vergangenheit ist nämlich theoretisch, es ist die Reformation. Wie damals der Mönch, so ist es jetzt der Philosoph, in dessen Hirn die Revolution beginnt.“ (Marx in der Einleitung von „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, ein äußerst lesenswerter Text auch heute.)

 

Das sind z.B. positive Errungenschaften, die auch der deutschen Nation angerechnet werden können. Und jetzt will Saleh hier alles unter religiöse Regeln stellen? Das paßt zwar gut zu einer Tendenz in der gegenwärtigen Politik hier, daß so mancher heutiger Politiker wehmütig in die Zeit zurück blickt, als man noch wahre Untertanen hatte, die noch „gottesfürchtig“ waren und die ein Pfarrer noch mit einer „donnergrollenden“ Rede zusammenfalten konnte, aber das ist im Gegensatz zur tatsächlichen Haupttendenz der Entwicklung hier.

 

Das ist übrigens auch nicht das einzige Mal, wo sich Herr Saleh in Widerspruch zu den tatsächlichen Wandlungen des Landes setzt, die er doch in allgemeinen Worten so lobt. Da kann er einem Herrn Schönbohm die Hand reichen, der den Verfall der Religiosität in der ehemaligen DDR als einen allgemeinen Kulturverfall ansah und als ursächlich für Kindermorde, der war ein sehr früher Verfechter des Begriffs Leitkultur und übrigens ebenfalls ein Fan von Preußen. Frau Merkel, Pfarrerstochter, hat uns auch schon geraten, Blockflöte zu lernen und religiöse Lieder zu singen, dann könne uns doch ein radikaler Islamismus nichts mehr anhaben. Also Vertiefung der Segmentierung nach Religion, nachdem wir die Bedeutung der Unterschiede der Konfessionen endlich weitgehend überwunden haben? Auch mit ihr scheint er eine Gemeinsamkeit zu haben, daß mit dem Zuzug von Menschen, die in einem sehr viel religiöseren Umfeld aufgewachsen sind, hier alle Religionsgemeinschaften wieder aufgewertet werden können, entgegen der tatsächlich vorherrschenden Tendenz, da reiht sich ein Herr Saleh offenbar auch ein. Im folgenden Zitat entdeckt er sogar eine Gemeinsamkeit mit Pegida, was nicht zufällig ist. Auch da will man teilweise die Bedeutung der Religion hervorheben, die Widersprüche auf die Ebene einer Religionsauseinandersetzung schieben, nur heißt es da eben „christlich jüdisch“ gegen islamisch.

 

In den Auszügen aus seinem Buch „Ich deutsch“, die im Tagesspiegel erschienen, wird folgender Passus gleich am Anfang hervorgehoben. Es heißt:

 

„Deutschland wurde im Laufe seiner Geschichte fast ausschließlich durch das Christentum, das christliche Menschenbild geprägt, dessen Grundlage das Neue Testament ist, das bekanntlich seinerseits auf den Heiligen Schriften des Judentums aufbaut. Daher sprechen wir von der Kultur des christlich jüdischen Abendlandes. Inzwischen führen diesen Begriff auch Leute im Mund, die vor noch gar nicht so langer Zeit alles Jüdische wohl als 'undeutsch' bezeichnet hätten.“ (Aus „Ich deutsch“, Hervorhebung von mir.)

 

Man merkt, daß Saleh Hilfe von einem Jesuitenpater bekommen hat, wie er selbst in dem Interview mit Inforadio bekennt:

 

Ich habe mich in den vergangenen Jahren sehr viel mit dem Thema beschäftigt. In vielen Gesprächen mit Priestern, Rabbinern und Imamen bin ich auf die Suche nach der moralischen Basis der Religionen gegangen. Dabei hat mir vor allem der Jesuitenpater Klaus Mertes geholfen. (Aus „Ich deutsch“, Hervorhebung. von mir.)

 

Hartmut Dicke, der wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus geleistet hat, charakterisierte die Jesuiten einmal folgendermaßen in einem Artikel:

 

„Der Jesuitenorden wurde gegründet, als der Katholizismus sich in Europa in Bedrängnis befand, nicht nur durch den ‘reformierten’ Glauben, sondern auch durch das Wachsen des Wissens der Menschen, durch die Entwicklung der Naturwissenschaften, und der Geographie. Allein die Großen Meeresüberquerungen und Entdeckungen selbst widerlegten das vorher favorisierte, allerdings auch schon vorher mit Gewalt durchgesetzte Weltbild. Jesuiten sollten sich selbst mit an die Spitze der Entwicklung dieser neuen Kenntnisse stellen und zugleich diese mit allen Mitteln bekämpfen. Jesuiten gingen alsbald, im Unterschied zu ihren lutherischen Konkurrenten, in die ganze Welt hinaus, fingen Diskussionen mit allen wissenschaftlichen Schulen an, suchten die Konfrontation. Gleichzeitig aber waren die Kontinente, die sie neu betraten, die Seewege, die um die Erde herumführten nach ihrer Doktrin nicht vorhanden.“
(
Aus: Klaus Sender [Hartmut Dicke] „José Carlos Mariátegui und kulturelle Fragen der peruanischen Revolution“)

 

Da hat sich Herr Saleh gerade den richtigen Berater ausgesucht, aber wenn man seinen Vorstoß insgesamt sieht, paßt das zum Ganzen. Er geht in dieser Frage jedenfalls fehl. Zweifellos hat das Christentum bei der Entwicklung eine Rolle gespielt, das wiederum auf dem Judentum aufbaut, aber das ist nur ein Teil des Ganzen. Deutschland wurde nicht „fast ausschließlich durch das Christentum“ geprägt. Das werde ich im nächsten Abschnitt ausführlicher Behandeln.
Die Deutschen jüdischer Abstammung haben übrigens einen wichtigen Anteil an der Entwicklung gehabt, wie zum Beispiel der völlig unreligiöse Karl Marx und viele andere wichtige Wissenschaftler, Es war auch deshalb ein Verbrechen an der Nation, sie auch nur daraus aussondern zu wollen.

 

 

II. „Gelebte Leitkultur“ gegen Salehs konstruierte „Leitkultur“

 

Herr Saleh hat an einer Stelle eigentlich seine eigene Widerlegung in seinem Buch, daß seine Leitkultur ein überflüssiges Konstrukt ist. Es ist heute eine übliche Vorgehensweise bürgerlicher politischer Autoren, daß man alles irgendwo mit drin hat, auch wenn es der eigentlichen grundsätzlichen Argumentation widerspricht. Auf der Seite 134 unter dem Kapitel „Gefühlte Leitkultur“ gibt es folgende Ausführung, die einen gesonderten und extra abgesetzten Absatz bildet:

 

„Es gibt also eine Art gelebte Leitkultur, die nicht durch Gesetze zu erfassen ist, die aber ein Grundgefühl, wenn man so will eine Art seelischen Querschnitt der Republik abbildet. Zum einen gehören dazu Empfindungen, was als richtig oder falsch angesehen wird ̶ jenseits von Gesetzestexten. Zum anderen zählen dazu die Sitten und Gebräuche eines Landes. Anders als die klaren Ansagen aus dem Grundgesetz oder der Sozial- und Wirtschaftsordnung unseres Landes ist diese gefühlte Leitkultur nur schwer zu fassen. Sie ist viel weniger konkret. Sie unterliegt auch viel stärker regionalen Schwankungen. Ein Bayer oder Schwabe hat vielleicht völlig andere Vorstellungen davon, was Deutschsein ausmacht, als ein Westfale, Hamburger oder Berliner. Trotzdem gibt es diese gefühlte Leitkultur. Und sicher gibt es Aspekte in dieser Gefühlswelt, die für eine große Mehrheit der Bevölkerung gelten und sich herausarbeiten und festschreiben lassen. Und darum soll es im Folgenden gehen.“ („Ich deutsch“, Seite 134, Hervorhebung von mir.)

 

Der zuletzt gestellten Aufgabe wird er bei weitem nicht gerecht. Es folgt dann recht locker, was ihm in Deutschland so alles aufgefallen ist. Was er als „gefühlte Leitkultur“ zu bezeichnen beliebt, geht eher in Richtung Nationalcharakter, und das ist keine Sache, die in dieser Weise behandelt werden kann, denn das ist eher maßgeblich, als seine konstruierte „Leitkultur“. Es stimmt zwar, daß ein Nationalcharakter manchmal besser von Außenstehenden beschrieben werden kann, weil den Menschen einer Nation selbst das Typische weniger auffällt, aber Saleh geht hier im Rahmen eines Buches mit einem solchen Anspruch schon recht willkürlich damit um. Seine Hervorhebung von Weihnachten über einen großen Teil der folgenden Seiten soll natürlich wieder die Bedeutung des Christentums hervorheben, was zu seinem Konzept der „Leitkultur“ gehört, nur daß tatsächlich heute meist das Christentum dabei gar keine so große Rolle mehr spielt und dieses Familienfest hierzulande ältere Ursprünge als das Christentum hat, wie auch der Weihnachtsbaum eigentlich mit Christentum nichts zu tun hat. Das Christentum hat eben vieles aufgenommen und sich angepaßt, wie auch den Sonntag, Feiertag des Sonnengottes der alten Römer, als Feiertag und früher als Tag des Kirchganges. Auch die besondere Hervorhebung der deutschen Romantik im neunzehnten Jahrhundert, auf die ich schon eingegangen bin, wird von ihm in der Folge dieses Zitates gebracht.

 

Jedenfalls ist der Nationalcharakter etwas nicht von oben Verordnetes, wenn gleich mit beeinflußbares, und außerdem ist er einem Wandel unterzogen, auch einem Lernprozeß, es gibt dauerhafte Züge und es gibt zeitweilige Moden, was man manchmal erst auf längere Sicht erkennen kann. Auf jeden Fall braucht diese Nation keine Missionare, die uns eine konstruierte Leitkultur verordnen, weder solche wie Schönbohm, Merz oder de Maizière, noch gar solche wie Özoguz oder Saleh. Und es geht ja nicht nur um eine Analyse, sondern laut Saleh geht es darum „unsere Werte und Traditionen festzuschreiben und einzufordern“ (Sein Buch S.22). Sie können die hier praktizierte Religionsfreiheit in Anspruch nehmen. Die geht weiter als das, was in vielen „islamischen“ Ländern Nichtmuslimen zugestanden wird. Aber im Namen der „Einwanderungsgesellschaft“ ein reaktionäres Segment der Gesellschaft zu schaffen, das muß nicht geduldet werden.

 

Rein theoretisch soll es in einem Nationalstaat, wie er z.B. in der französischen Revolution als „Herrschaft des Dritten Standes“ proklamiert wurde, und das ist das eigentliche Modell des modernen Nationalstaates, so sein, daß das Volk maßgeblich ist und die politische Repräsentation aus diesem Volk kommt und sich sich nach ihm zu richten hatAnm.2. In Zeiten, in denen die revolutionäre Bourgeoisie den Dritten Stand dabei anführte, die Herrschaft der privillegierten feudalen Klassen zu stürzen, die ihren Herrschaftsanspruch aus ihrer angeblich „höheren Abstammung“ ableiteten, mag das auch einleuchtender gewesen sein, Das ist allerdings nun gar nicht typisch preußisch. Natürlich gibt es die Klassenwidersprüche auf neue Art weiterhin, und den „einheitlichen Volkswillen“ gibt es natürlich politisch nicht, sondern in der politischen Vertretung kommen natürlich dann auch die Widersprüche in der Gesellschaft zum Ausdruck, daß eine Klasse oder eine Koalition von Klassen die Macht in den Händen hat. Aber das Prinzip der Nation verbreitete sich nicht ohne Grund über die Welt, sie bildet einen Rahmen, in dem das Bestreben der unteren Klassen nach Emanzipation einen Rahmen findet. Mit der Abschaffung der Klassen und ihrer materiellen Grundlagen werden aber nach unserer Überzeugung auch die Staatsapparate überflüssig werden und die Trennung nach Nationen wird ebenfalls überflüssig werden oder zumindest von untergeordneter Bedeutung. Das wird aber ein längerer Prozeß sein und auch nur auf freiwilliger Grundlage möglich sein, das heißt: ohne nationale Unterdrückung. Eine herrschende Klasse, die sich in zu großem Widerspruch zu den Menschen in ihrem Land befindet, kann natürlich auf die Idee kommen, diese Einrichtung zu beseitigen oder auszuhöhlen, zumal eine solche herrschende Klasse, deren politische Repräsentanten sich auf einen immer kleineren Teil der Bevölkerung stützen.

 

 

III. Grundsätzliches zur Entstehung von Nationen und zur europäischen Entwicklung

 

Daß moderne Nationalstaaten zuerst in Europa entstanden sind, hat seinen Grund. Gehen wir weit zurück in die Geschichte, was wir tun müssen, um die Entstehung von Nationen zu ihren Wurzeln zurück zu verfolgen:


In der Zeit nach der Eroberung des weströmischen Reiches durch die Germanen fand unter Karl dem Großen vor rund 1200 Jahren eine Verbindung statt zwischen der römischen (katholischen) Kirche und dem neuen fränkischen Reich, das auf diesem Wege Teile der alten lateinischen Kultur für sich adaptierte. Elemente der erst spät auch vom Christentum mit geprägten lateinischen Kultur wurden mit Elementen der germanischen Kultur, die noch nicht lange der Stammesgesellschaft entwachsen war, kombiniert. Das war eine wichtige Weichenstellung für die europäische Kultur, für die Entstehung dessen, was wir heute Europa nennen, und damit auch für die deutsche, die in diesem Prozeß eine wichtige Rolle spielte.Hier war die Stellung der arbeitenden Menschen noch eine andere, gab es noch die Erinnerung an den freien Genossen, der alle gemeinschaftlichen Angelegenheiten mitbestimmt und sich dafür verantwortlich fühlt, wie auch die Genossin. In dieser früheren Gesellschaft hatte auch die Frau eine geachtetere Stellung als in der römischen Familie, wo sie nur wenig über den Sklaven stand. (Geschenkt, daß diese Germanen sich auch im Laufe der Völkerwanderung und durch römische und andere Einflüsse mit anderen vermischt hatte und fremde Einflüsse mit aufgenommen hatte, es geht um Kultur und gesellschaftliche Entwicklung, und nicht um „Rasse“.) Das gab auch der lateinischen Kultur und Zivilisation in den Ländern des vormaligen römischen Reiches wieder frisches Blut in Richtung einer Entwicklung, in der das Bestreben nach Emanzipation seinen Raum fand und bis heute in der Masse der Bevölkerung nicht tot zu kriegen war. Auch die Entwicklung von Nationen in Europa ist damit verbunden.

 

Als das fränkische Reich aufgeteilt wurde, war die Aufteilung keineswegs völlig willkürlich, sondern es wurden auch gewisse Zusammenhänge und Eigentümlichkeiten der Bevölkerung dabei berücksichtigt. Vor allem aus den zwei hauptsächlichen Gebieten entwickelten sich im Laufe der Geschichte die Länder Frankreich und Deutschland. In dem Gebiet des späteren Deutschland dominierten mehr die germanischen Stämme, dort sprach man die „Volkssprache“ und das Wort „deutsch“ bezeichnete zuerst diese Volkssprache, während in Frankreich mehr eine romanisierte gallische Kultur im Volk dominierend war. Man sieht, daß hier das Volk eine entscheidende Rolle dafür spielt, wie die Aufteilung vorgenommen wird. In dem Übergangsgebiet zwischen beiden, wo tatsächlich Kulturen und Bevölkerungszusammensetzung einen Übergang hatten, wurde ein Zwischenreich etabliert, das größtenteils im Laufe der Geschichte zwischen den beiden großen Nachbarn aufgerieben wurde. Es wurde damals „Lotharingien“ genannt, was sich noch heute im Namen „Lothringen“ wiederfindet. Hier finden sich uralte Wurzeln der beiden großen Nationen im Zentrum Europas, die noch heute gewissermaßen einen Kern davon bilden. Diese zwei Nationen haben sich in ihrer Entwicklung sowohl bekämpft als auch gegenseitig ergänzt und die Beendigung der Kriege zwischen ihnen hat einen europäischen Zusammenschluß erst möglich gemacht.

 

Herr Saleh tut mehrfach so, als habe es deutsche Kultur nur in der Form der völkischen Deutschtümelei, nur in einer phantasierten ethnischen Einheit des „deutschen Blutes“ gegeben, ansonsten habe sie keine Substanz. Das ist eine Diffamierung. Zwar haben die rückständigen Kräfte, gerade auch aus der preußisch-reaktionären Ecke, auf solche Vorstellungen zurückgegriffen, wie auch die deutschen Romantiker - und beide hebt gerade Saleh gleichzeitig positiv hervor - aber es gab auch die Gegenkräfte. Daß Saleh gerade die reaktionären Seiten hervorhebt, ist wie ein vergiftetes Geschenk und ist im Gegensatz zur realen Entwicklung. Will er mit seinen Vorstellungen wirklich an reaktionäre Traditionen anknüpfen oder will er die deutsche Kultur herabsetzen, um seine Vorstellungen besser dastehen zu lassen?

 

Was Herr Saleh hier an Grundlagen der Nation wegläßt, ist nicht unwesentlich. Wenn später die deutschen Bauern in der Zeit der Bauernunruhen mit dem deutschen Bauernkrieg im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts als Höhepunkt, einer Jahrzehnte währenden Periode von Bauernunruhen im 15. und 16. Jahrhundert, jene Zeit in der auch mit der Reformation die geistige Herrschaft der römisch-katholischen Kirche durchbrochen wurde, gegen die Willkür der Feudalherren und des Klerus Sturm liefen, dann war das auch mit dieses alte Erbe, das gegen die feudale Sklaverei und die Kirche, die sie rechtfertigte und selbst ein Teil dieser Ordnung war, wieder durchbrach. Wir finden in jener Zeit die Argumentation, daß sich die Feudalherren und der feudale Klerus zu Unrecht über die Bauern setzen, daß sie ihre besonderen Aufgaben in der Gesellschaft nicht erfüllen, wegen denen ihnen einst die Privillegien zugestanden wurden, und den Bauern ihre verbrieften Rechte nehmen wollen. 1525 faßten die Bauern in Memmingen ihre Forderungen in Zwölf Artikel. Diese zwölf Artikel gelten als die erste Niederschrift von Menschen- und Freiheitsrechten in Europa, und die zu den Zwölf Artikeln führenden Versammlungen gelten als erste verfassungsgebende Versammlung auf deutschem Boden. Sie begründeten ihre Artikel auch, wie das damals nicht anders sein konnte, mit dem Christentum und hofften auf Bestätigung durch Martin Luther. Dieser fiel ihnen aber in den RückenAnm.3.

 

 Das sind Elemente der deutschen Nationalgeschichte, auf die wir stolz sein können. (In jener Zeit schon zeigte sich allerdings die Schwäche des deutschen Bürgertums, das den Bauern nicht genügend zur Seite sprang und aus heutiger Sicht gesehen überhaupt insgesamt seiner historischen politischen Aufgabe nicht gerecht geworden ist.)

 

Das ist nicht Prägung durch die Kirche, mit ihrem Grundsatz, was man nicht angetan haben will, das darf man auch selbst niemandem antun, für den Herr Saleh so schwärmt. In der Klassengesellschaft kann dieser Grundsatz auch dazu mißbraucht werden, den unteren Klassen den Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung auszureden, sie zu animieren, „auch die andere Wange hinzuhalten“ und dafür auf „Belohnung im Jenseits“ zu hoffen. Hier ist man jedoch gewaltsamer Unterdrückung mit gewaltsamer Erhebung begegnet, was in der deutschen Geschichte allerdings im weiteren Verlauf dann zu wenig wieder passiert ist, auch weil der Reformator Luther, der auf dem Gebiet der Theorie die katholische Kirche kritisierte, den Bauern in den Rücken fiel, statt eine Rechtfertigung zu erarbeiten. Die Kritik der katholischen Kirche durch Luther ist jedoch trotzdem von großer historischer Bedeutung. Daß nicht wie im Islam religiöse Autoritäten die religiösen Schriften auslegen und dem Volk dann entsprechende Vorschriften machen, sondern daß der Einzelne diese Schriften liest, wofür sie übersetzt wird, und daraus selbst seine Schlußfolgerungen ableitet, war ein wichtiger Schritt in der geistigen Entwicklung, förderte auch die kritische Auseinandersetzung mit den kirchlichen Doktrinen selbst, auch wenn es bei der Reformation für die Deutschen selber auch sehr negative Seiten gibt. Eine Lehre sollte allerdings dabei festgehalten werden, daß dort, wo die Bauern rebelliert hatten, es später in der Geschichte trotz der Niederlage des Bauernkrieges überwiegend den Bauern besser ging als den deutschen Bauern östlich der Elbe, die sich während des Bauernkrieges zurückgehalten hatten. Es stimmt schon: „Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.“

 

Eine so schöne Tradition wie in Frankreich, wo die Proklamation der Nation mit dem Köpfen des Königs und des Adels verbunden war, das hätte uns auch gut getan. In Deutschland wurden die Revolutionen nach der Niederlage des Bauernkrieges nur in den Köpfen nachvollzogen, wie auch die Restaurationen. Dabei wurden jedoch in Deutschland auf dem Gebiet der Philosophie und überhaupt des geistigen Schaffens wichtige Werke erarbeitet, die das Denken der Welt bereichert haben und Deutschland den Ruf des Landes der Dichter und Denker einbrachten. Darauf baute auch ein Karl Marx später mit auf, daß war ein Fundament auf dem er weiterentwickelnd aufbaute. Daß nach der Niederlage des Bauernkrieges, der ein früher Vorläufer der bürgerlichen revolutionen in Europa ist, keine Revolution in Deutschland gelang, das lag an den Besonderheiten der weiteren Entwicklung, dabei auch besonders an dem bald auf die Reformation folgenden Dreißigjährigen Krieg, 1618 bis 1648, einem Krieg, in dem deutsche und ausländische Söldnerheere, nach damaligen Maßstäben für nahezu ein Menschenalter, kreuz und quer durch Deutschland zogen und das Land verheerten mit großenteils religiösen Vorwänden, was auch mit dem In-den-Rücken-Fallen-Luthers gegenüber den Bauern und seiner Bejahung der Unterordnung unter die Herrschaft lokaler Fürsten zusammenhängt, die dann auch jeweils über die Religion ihrer Untertanen bestimmten und Deutschland noch mehr in einen Flickenteppich von Kleinstaaten verwandelten, aber auch mit der exponierten Lage mitten in Europa, wo die Vorgänge natürlich auch die Reaktionen der feudalen Regime rundherum nach sich zogen,

 

In der Revolution von 1848 gab es die ganz große Chance zu einer bürgerlichen Revolution, die Deutschland zu einem einheitlichen, großen, fortgeschrittenen bürgerlichen Staat in Europa gemacht hätte, aber an dieser Aufgabe versagte die deutsche Bourgeoisie, die für eine wirkliche Volksrevolution schon zuviel Angst vor der organisierten Arbeiterschaft hatte. Marx und Engels, die bereits die Klasse vertraten, durch die die bürgerliche Gesellschat überwunden wird, waren dagegen vehement für den Sieg dieser Revolution.

 

 

IV. Marx und Engels unter den Tisch fallen lassen - das geht garnicht!

 

Marx und Engels werden von Saleh unter den Tisch fallen gelassen, selbst wenn er wichtige Personen der deutschen Geschichte aufzählt (obwohl auch er in seinem Buch nicht völlig ohne ein Zitat von ihnen auskommt). Dabei ist es offensichtlich, daß er sich sogar direkt in einen großen Widerspruch zur hiesigen Bevölkerung setzt - aber natürlich weniger zur herrschenden Klasse, national wie international, die zwar bei Marx abschreibt, wo immer es geht, aber ihn gleichzeitig in seiner Bedeutung zu schmälern sucht. Als 2003 in einer Umfrage des ZDF mit großer Beteiligung »Unsere Besten - Wer ist der größte Deutsche?« nach dem größten Deutschen gefragt wurde, laut ZDF eines der meistdiskutierten Projekte des Senders, wollten die Teilnehmer auf den ersten drei Plätzen Konrad Adenauer, Martin Luther und Karl Marx sehen. Ich will nicht alle drei hier kommentieren, aber Karl Marx ist zu Recht so weit vorne, und das ist eben auch derart einleuchtend, daß trotz aller Gegentätigkeit der hiesigen und internationalen Bourgeoisie das Bewußtsein davon in der Gesellschaft nicht auszurotten ist.

 

Mit folgenden Worten stellte Hartmut Dicke den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der deutschen Nation und dem Wirken von Marx und Engels so prägnant dar, daß ich es wörtlich zitiere:

 

„Z.B. ist es kein Zufall, daß sich der Marxismus als Lehre in Deutschland entwickelte, in jener Zeit des Vormärz, als Deutschland neues nationales Selbstbewußtsein auf dem Hintergrund seiner langen Geschichte gewann, als der Zusammenhang der historischen Entwicklungen in Europa von der Wissenschaft in Deutschland erarbeitet wurde. Auf dem Boden der Zusammenfassung der bis dahin bekannten internationalen Erkenntnisse über Natur und Gesellschaft erwuchsen die Lehren von Marx und Engels, die erstmalig eine Übersicht über die Klassenentwicklungen und die historischen Notwendigkeiten erreichten.“ (Aus: Hartmut Dicke "Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage)

 

In Deutschland hatte schon Hegel den Versuch zu einer solchen Zusammenfassung unternommen und auch wichtige Beiträge geleistet, insbesondere mit seiner Dialektik, aber Marx mußte ihn „vom Kopf auf die Füße stellen“. In der Zeit des Vormärz bedeutet in der Zeit vor der Revolution von 1848, für deren Sieg sich Marx und Engels vehement eingesetzt haben, die sie aber auch als das Vorspiel zur Revolution des Proletariats sahen. In dieser Zeit schrieben sie auch das „Kommunistische Manifest“. In dieser bürgerlichen Revolution von 1848 bestand die Chance, auf der Grundlage einer bürgerlich-demokratischen Revolution die nationale Einheit in einem modernen Nationalstaat zu erringen und die deutsche Zersplitterung und Kontrolle durch ausländische Mächte zu überwinden. Und zwar unter gleichzeitiger Überwindung der Polarisierung zwischen den beiden Mächten Preußen und Österreich. Diese Revolution im Zentrum Europas hätte einen sehr positiven Einfluß auf die gesamte europäische Entwicklung und darüber hinaus gehabt, hätte auch zur Beendigung der polnischen Teilung schon damals geführt, die dann noch bis nach dem ersten Weltkrieg weiter bestand, denn Preußen und Österreich waren zusammen mit dem russischen Zarismus die Nutznießer dieser Teilung.

 

Marx und Engels gehören zu dem Besten, was Deutschland hervorgebracht hat, gehören darüber hinaus zugleich zur europäischen Entwicklung und auch zur Entwicklung des internationalen Proletariats. Die im weiteren sich entwickelnde deutsche Arbeiterbewegung, ist von Marx und Engels mit beeinflußt worden, hatte einen großen Einfluß auf die gesamte internationale Arbeiterbewegung, auch wenn sie nicht frei von Schwächen war, denn auch rückständige Seiten der deutschen Entwicklung fanden darin einen Niederschlag, wie das nicht nur in Deutschland zu beobachten ist. Hier möchte ich noch einmal Hartmut Dicke und seinen wichtigen Artikel "Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage" dazu zitieren:

 

„In Deutschland hatte sich bis 1895 eine Arbeiterbewegung entwickelt, die das gesamte kapitalistische System in Frage stellte. Sie stand mit den Arbeiterbewegungen in den anderen europäischen Ländern, in Amerika und schließlich auch Japan und China in einem engen Zusammenhang. Aber sie hatte unter den Ländern der höchstentwickelten Stufe die größte politische Reife, die größte Systematik zur Überwindung des kapitalistischen Systems erreicht. In ihren Quellen hatte diese Partei deutliche Fehler und Schwächen, was man allein schon an dem verbliebenen starken Einfluß des Lassalleanismus sehen konnte. In der Sozialdemokratie fanden heftige Richtungskämpfe statt, die aber zu keiner klaren Entscheidung führten.“[Anmerkung] (Aus: Hartmut Dicke "Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage")

 

Natürlich wird auch diese Arbeiterbewegung in ihrer Bedeutung von Herrn Saleh ausgelassen. Im Grunde kann man den ersten Weltkrieg und die ganze Geschichte danach überhaupt nicht richtig verstehen, wenn man diese Arbeiterbewegung nicht in ihrer Bedeutung würdigt, von der auch die bewaffnete Erhebung der Novemberrevolution 1918 ausging, mit nachfolgend immer wieder ausbrechendem Bürgerkrieg bis in die zwanziger Jahre hinein. Als die SPD, ursprünglich die Partei dieser Bewegung, zu einer Partei geworden war, die offenkundig die ursprünglichen revolutionären Zielsetzungen verraten hatte, entstand trotz der widrigen Bedingungen eine neue revolutionäre Massenpartei, die KPD. Gleichzeitig gab es auch nach dem ersten Weltkrieg eine nationale Unterdrückung, die ebenfalls mit zum Ziel hatte, gegen die deutsche gesellschaftliche Entwicklung vorzugehen, in der die proletarische Revolution immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Es wäre die Aufgabe der KPD gewesen, sich auch an die Spitze des Kampfes gegen die nationale Unterdrückung zu setzen, aber sie taten das leider nicht so, wie es erforderlich warAnm.4. Das nutzten die Nazi-Faschisten aus, die dieses Thema in reaktionär verdrehter Weise für sich nutzten.

 

Die Nazi-Faschisten entstanden gerade in dieser Zeit der Kontrolle durch die Siegermächte des ersten Weltkrieges, und je mehr diese Nazifaschisten die Aufgabe angingen, die deutsche revolutionäre Arbeiterbewegung auszuradieren und das Land in einen Krieg gegen die Sowjetunion zu treiben, desto mehr lockerten die Siegermächte, unter denen immer mehr die USA dominierten, ihre Kontrolle über das Land. Da wollte man das gleiche. Sie nannten sich national, aber ihr Konzept bedeutete ein Zurück vor die Entwicklung der Nation in eine Art phantasierter „ethnischer Einheit“ einer phantasierten „Einheit der Rasse“, die es auch schon bei den Germanen nicht gegeben hat, die als „Herrenvolk“ andere Völker als „Sklavenvölker“ ausbeuten sollte. Es war eine fundamentalistische Politik mit dem Slogan „Blut und Boden“ gegen Jahrhunderte der Zivilisationsentwicklung. Ihr Feldzug gegen die Revolution, mit dem sie sich für die Siegermächte als nützliche Werkzeuge anboten, brachte sie dann in eine Lage, in der sie sich stark genug fühlten, selbst nach der Oberherrschaft zu streben. Letztlich haben sie das Land, indem sie es in ungeheure Verbrechen verstrickten, in die Katastrophe geführt.

Auch die Nachkriegsgeschichte nach dem zweiten Weltkrieg ist ohne diesen Aspekt nicht zu verstehen, denn die Fortsetzung der Politik gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung gehört mit dazu, wenn man die Politik dieser Zeit verstehen will, auch die Unterordnung unter den „Schirm“ der USA, weil die Bourgeoisien der europäischen Mächte mit den inneren Widersprüchen überfordert waren und auch die Aufrechterhaltung der internationalen Ausbeutung, ohne die die Korrumpierung im Inneren nicht aufrecht zu erhalten ist, nicht mehr ohne die USA aufrecht zu erhalten war. Dazu gehört allerdings auch die Entwicklung dieser Bewegung selbst, auch ihr Niedergang im Zusammenhang mit dem Niedergang der Sowjetunion und des gesamten sozialistischen Lagers, später auch des revolutionären China, was ich hier aber nicht mehr behandeln will. Es mag sein, daß man Herrn Saleh die mangelnde Kernntnis dieser ganzen Vorgänge nicht zu sehr vorwerfen kann, da ja die gesamte bürgerliche Propaganda alles tut, um diese Vorgänge zu vernebeln und er erst in denneunziger Jahren aus einem anderen Kulturraum hier hergekommen ist. Aber falsch liegt er auf jeden Fall.

 

 

V. Repräsentiert Preußen die deutsche Nation?

 

Herr Saleh erzählt dafür gerne von Preußen, wenn er seine Geschichtskenntnisse zeigen will, und will es als positives Beispiel für Deutschland hinstellen. Man merkt schon, daß er in Berlin politisch tätig ist, wo man sich leider neuerdings immer öfter auf Preußen besinnt und auch das Hohenzollernschloß unbedingt in der Stadt haben will, und sei es nur als Nachbildung, das ein Symbol der Unterwerfung der einstigen Hansestadt Berlin unter die Hohenzollern und die Junker war. Auch in der zu Ende gehenden DDR besann man sich zunehmend wieder auf preußische Traditionen, nachdem man die deutsche Nation geleugnet hatte und von einer neuen „DDR-Nation“ fabulierte. Am Anfang der DDR, wenige Jahre nach dem Ende des Krieges, war das noch anders gewesen, als viele fortschrittliche Menschen ihre Hoffnungen auf einen Neuanfang für die deutsche Nation, ausgehend von der DDR richteten, während in Westdeutschland die alten, durch die Nazizeit kompromittierten Eliten wieder in die leitenden Posten kamen. Diese Menschen wurden jedoch zum großen Teil im weiteren von der Entwicklung enttäuscht. Auf diese Fragen geht Saleh nicht groß ein, und so will ich das hier auch nicht weiter vertiefen. Jedenfalls kommt er mit Preußen:

 

„Ich denke zum Beispiel an den alten Fritz. Man kann ja kritisieren seine ganzen Bestrebungen, seine ganzen militärischen Vorlieben, aber zu sagen, daß man sich öffnet der Welt und dadurch stärker wird, ist erstmal stark. Oder der alte Kurfürst aus Brandenburg, der mutig war und gesagt hatte: Ich öffne die Grenzen und lasse insgesamt so viele Menschen rein wie ein Viertel der Bevölkerung.“ [Einwurf der Moderatorin: „Das Hugenottenedikt damals.“] „Ja, ich hätte, wenn ich die Möglichkeit hätte, gerne diesen alten Kurfürsten gefragt. Hattest du damals keine Angst, hattest du keine Sorgen, daß das ganze außer Ruder gerät? Wie kamst du damals zu der Entscheidung, so eine wichtige Entscheidung zu treffen? Und ich glaube, daß Deutschland immer dann stark war, wenn wir uns geöffnet haben. Wenn wir versucht haben, unsere Identität zu wahren, wenn wir klargemacht haben, was bei uns verhandelbar ist und was bei uns nicht verhandelbar ist, aber wenn wir immer fürs Neue offen waren. Also im Grunde genommen wie so ein Schwamm, der das was an neuen Ideen, an neuen Einflüssen ist aufsaugt und daraus was Neues entwickelt.“ (Interview im Inforadio)

 

Was für ein toller Geschichtsunterricht durch unseren Herrn Saleh. Der Kurfürst von Brandenburg regierte eine Grenzmark Deutschlands, eine Eroberung in vorher slawisch besiedeltem Gebiet mit dem Charakter einer Militärdiktatur, ganz im Gegensatz zum Gebiet des eigentlichen Deutschland. Deren privilegierte feudale Militärkaste, ergänzt durch lokale Raubritter, die Junker genannt, wurde die dominierende Klasse in der Mark und später, viele diplomatische Intrigen und Eroberungen des deutschen Teilfürstenhauses, später dann in Preußen. Der sogenannte „Große Kurfürst“ ließ in einer Zeit, als die Folgen des Dreißigjährigen Krieges mit seinen Verheerungen und seiner Entvölkerung noch nicht überwunden waren, in ihrem Ursprungsland verfolgte calvinistisch- protestantische Franzosen, die Hugenotten, zum Teil sehr qualifiziert und gebildet waren, in sein überwiegend lutherisch-protestantisches Land, die sehr gefördert oder gar privilegiert wurden und einen nachhaltigen Einfluß auf die weitere Entwicklung hatten, teilweise Eingang in die Elite fanden. Ähnliches taten aber auch andere Teilfürsten.

 

Dabei gefällt Herrn Saleh natürlich offenbar die Stellung der Hugenotten, das macht ihm anscheinend den „Alten Fritz“ sympathisch, das ist aber nicht so ganz vergleichbar mit den heutigen Vorgängen. Dem „alten Fritz“ wiederum, bei dem „jeder nach seiner Façon selig werden“ sollte, dem es vor allem um die Vergrößerung seiner Armee ging, um sein Teilfürstetum auf Kosten Polens und der deutschen Nachbarländer zu vergrößern, war es wahrscheinlich nicht so wichtig, woher seine Soldaten kamen und welche Religion sie hatten, da in seiner Armee, für die er Menschen von überall her rekrutierte, wo er sie bekommen konnte, ohnehin die Rohrstockdisziplin gepflegt wurde und er in absoluter Weise regierte. Sein Staat ohne ein gemeinsames Volk und natürliche Grenzen, durch Intrigen und Eroberungen zusammengebracht, war auch schwer zusammen zu halten, da war es für ihn kontraproduktiv, den sowieso schwierigen Zusammenhalt durch religiöse Konflikte zu schwächen. Preußen war ein Separatstaat, teils auf deutschem, teils auf außerdeutschem Boden expandiert, es war nicht Deutschland und steht schon gar nicht stellvertretend für Deutschland, wird hier aber von Saleh so behandelt. Die Kriege, die er führte, vertieften die Spaltung Deutschlands in ein preußische und ein österreichisches Lager, was ein enormes Hindernis für die deutsche Einigung bildete. Den „Alten Fritz“ zu kopieren wäre eine ganz negative Version. In welche Richtung sollten die kriegerischen Bestrebungen gehen, für die man Soldaten von überall her rekrutiert?

 

Bisweilen wird Friedrich II mit der Aufklärung in Zusammenhang gebracht und als Beweis oft seine religiöse Toleranz gebracht. Diese war aber aus den oben genannten Gründen in Preußen schon älter und nicht auf den Einfluß der Aufklärung zurückzuführen. Auch gegenüber den Juden war man zu jener Zeit in Preußen keineswegs so modern, sondern deren Stellung wurde sehr restriktiv nach dem mittelalterlichen „Judenregal“ behandelt. Er erkannte wohl einen Nutzen darin, Ideen der Aufklärung für den Ausbau seiner absoluten Macht und gegen die Junker zu nutzen, die in primitiver Weise ihre persönliche Macht auszubauen trachteten, die in ihren Besitzungen auch oberster Polizeichef und Richter in einer Person sein wollten. Während er mit dem französischen Aufklärer Voltaire in einem Gedankenaustausch stand - wie auch die Zarin zu dieser Zeit - negierte er zugleich die Bedeutung der Aufklärer in Deutschland. So konnte der in Königsberg geborene Philosoph Immanuel Kant (1742-1804) nur spärlich sein Brot verdienen, ein weltweit anerkannter Denker der Aufklärung und des Rationalismus, der mit dem „Kathegorische Imperativ“ erstmals das Prinzip einer Ethik formulierte, die nicht mehr aus der Religion abgeleitet ist: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Bei Kant ist das aus der Fähigkeit zur Vernunft abgeleitet. Friedrich II wandte sich gegen seine Anschauungen. Er verhinderte z.B. auch die Aufnahme des Denkers der Aufklärung Moses Mendelssohn in die Preußische Akademie der Wissenschaften.

 

 

VI. Peinliches von Saleh über die deutsche Romantik und die Grünen

 

Saleh verklärt dagegen ausgerechnet die deutsche Romantik, Beginn um 1800, Reaktion auf die französische Revolution 1789 und Gegenbewegung zur Aufklärung. Er setzt die Grünen mit der deutschen Romantik, einer geistigen Strömung von Ende des achtzehnten bis Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in Verbindung:

 

„Auch die Umweltschutzbewegung ist für mich deutsche Leitkultur. Für gewöhnlich verbinden wir mit der ‘Ökobewegung’ die 1970er Jahre. Aber es gab bereits vorher Auseinandersetzungen und Diskussionen, in denen ein Umdenken im Umgang mit der Natur gefordert wurde. So war um das Jahr 1800 herum das Thema ‘Holznot’ in aller Munde. Die Menschen fürchteten, daß durch den Raubbau der ‘deutsche’ Wald auf Dauer geschädigt würde.“ ... „Nicht von Ungefähr setzte zur Zeit der ‘Holznot’-Debatte[Anm.5] eine Bewegung ein, die als ‘deutsche Romantik’ Europaweit großen Einfluß gewinnen sollte und die mit Namen wie Johann Gottlieb Fichte, August Wilhelm Schlegel oder Novalis verbunden wird. Für die genannten Dichter und Denker war die Natur nicht länger bloß die Wildnis, die der Mensch noch nicht urbar gemacht hatte, also noch nicht wirtschaftlichen Zwecken untergeordnet hatte. Sondern die Natur wurde zu einem gleichberechtigten Gegenstück zur Kultur.“ (Hervorhebung von mir, „Ich deutsch“ Seite 145)

 

Die romantische Schule war vor allem gegen die französische Revolution, gegen Rationalismus und Aufklärung gerichtet, gegen Industrialisierung und Revolutionierung der Gesellschaft, betonte das Gefühlsmäßige, das Mystische, „aus der Seele Kommende“, postulierte eine „Volksseele“, die genauso aus der natürlichen Umgebung wie aus der Geistesgeschichte des Volkes stamme. Auch eine Weltseele wurde postuliertAnm.6. Eine durch die Wissenschaft entzauberte Welt sollte wieder neu verzaubert werden. Wissenschaft und Religion sollten vereinigt werden. So sieht konkrete Anwendung dieses Grundsatzes „die Natur wurde zu einem gleichberechtigten Gegenstück zur Kultur“ aus dem obigen Zitat bei den Romantikern aus. Die ist auch eine Widerspiegelung des damaligen deutschen Zurückbleibens in der gesellschaftlichen Entwicklung hinter den entwickelten Nationen Europas. Für einen Menschen, der Religiosität fördern will, mag das sympathisch sein, aber was für eine Rolle hat das gespielt?

 

In der Tat haben wir hier eine der Wurzeln der alten deutschen Naturschutzbewegung, die nämlich in der Veränderung der Natur einen Angriff auf die „Volksseele“ sah, die auf mystische Art mit der Natur, in der sie entstanden sei, in Verbindung stehe. Das hängt zusammen mit der völkischen Auffassung der Nation und blendet übrigens tatsächlich die Durchdringung durch und Aufnahme von Elementen von Außerhalb auch weitgehend aus, die in Europa bis zurück in aller früheste Zeiten eine Rolle gespielt hat, aber nicht gegen einen Nationalcharakter spricht, sondern ihn gerade mit geprägt hat. Auf dieses peinliche Erbe beruft man sich natürlich heute nicht so gern.

 

Dieses irreale Nationenverständnis scheint Herr Saleh aber nun auf einmal für das gängige zu halten. Das ist mitnichten heute dominierend, außer bei den ganz Rechten. Sollen die auf einmal repräsentativ sein, im Gegensatz zu den sonstigen schönen Reden Salehs? Solche Ideen haben bis heute auch Faschisten aller Variationen mit aufgegriffen, da auch sie der modernen Nation ablehnend gegenüber stehen und einen ethnisch begründeten Nationsbegriff bevorzugen, so auch Mussolini, obwohl bei ihm anfangs offiziell der deutsche Einfluß die Rolle des „Verderbers der Nation“ spielte, die im faschistischen Deutschland ein Jahrzehnt später den Juden demagogisch zugewiesen wurde.

 

Rechte Kräfte aus dieser Tradition haben auch mit bei der Gründung der Grünen Pate gestanden. Die rechte Naturschutzbewegung ist in Deutschland tatsächlich schon viel älter als die Grünen und fand in der Nazizeit größere Berücksichtigung, mündete z.B. auch in dem ersten deutschen Naturschutzgesetz unter der Naziherrschaft. Manche Naturschützer der Nachkriegszeit knüpften direkt an diese Kontinuität an. Das sind so Sachen, über die ein Herr Hofreiter nicht redet, wenn er von der Geschichte der Naturschutzbewegung spricht. Da gibt es eine Geschichte im 19. Jahrhundert und dann springt man gleich in die 70er Jahre, wie das hier bisweilen auch Firmen getan haben. Aber die Grünen müssen doch nicht den Ansprüchen genügen, die sie an andere stellen? Und ein Herr Saleh weiß vielleicht auch nicht, was er da redet, oder doch? Und das Aufkommen der Grünen und „Alternativen“ ging auch mit dem wieder Hervorholen der Nabelschau und der Esoterik einher.

 

 

VI,1. Gegen was war denn nun die Bewegung der Grünen gerichtet?

 

War die Romantik gegen die Aufklärung und den Rationalismus der bürgerlichen Entwicklung gerichtet, so die Grünen gegen das Wiederaufkommen revolutionärer Bestrebungen in der Bundesrepublik seit Ende der sechziger Jahre und gegen die hochentwickelten Produktivkräfte, auf deren Grundlage die revolutionären proletarischen Bestrebungen immer wieder neu entstehen mußten. Hartmut Dicke, selbst in dieser Zeit politisch aktiv, beschreibt das Wiederaufkommen des revolutionären Marxismus so:

 

„Ende der sechziger Jahre reifte in der Jugend die Reflexion des vergangenen Geschehens heran. Auch aus Gründen der sich entwickelnden Widersprüche zwischen diesem neuen erstarkenden Westdeutschland und den USA kam es zu heftigen politischen Debatten, zur Initiierung einer Studentenbewegung, die bezeichnenderweise zunächst von West-Berlin ausging und die die herrschenden politischen Ordnungen in Frage stellte. Dazu kommen soziale Unruhen um solche Fragen wie Notstandsgesetze, Fahrpreiserhöhungen, und als eine erste Überproduktionskrise im Jahre 1967 eintritt, kommt auch noch zum ersten Mal das Bewußtsein der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus hinzu. Das Jahr 1968 wird ein Scheidejahr, weil hier erstmalig große Massen der Jugend den politischen Kampf auf die Tagesordnung setzten, den man in der alten Bundesrepublik zunächst völlig unter den Teppich gekehrt hatte - alles schien vorher “wohlgeordnet”. Und sehr schnell griffen diese neuen Kräfte den Marxismus auf, der schon für tot gehalten worden war, und zwar genau an jenen Komponenten, darunter der alten Arbeiterbewegung in Deutschland einschließlich des Kampfes der KPD vor 1933, deren historisches Bewußtsein alsbald wieder in die Köpfe dieser neuen Bewegung hineinkam, sowie auch Impulsen, die aus der DDR kamen, wie auch Impulsen, die von China aus in Form von Lehren Mao Zedongs kamen.

Das Bewußtsein über die Ausbeutung der Dritten Welt machte klar, daß die Gesetze des Marxismus, auch das der Verelendung und der immer größeren Ausweitung der Lohnarbeit, sehr wohl stimmten und die Gebrechen des Kapitalismus nicht etwa durch Reformen überwunden werden können. Innerhalb einer sehr kurzen Frist kam es daher zu einer Wiederbelebung eines unversöhnlichen, radikalen Marxismus, der sich aus allen bisherigen bedeutenden Lehren der Arbeiterbewegung speiste.“ (Aus: Hartmut Dicke "Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage")

 

Dieses Wiederaufkommen ließ bei der hiesigen Bourgeoisie, aber auch bei der internationalen Bourgeoisie die Alarmglocken läuten. Eine Verbindung mit der Arbeiterbewegung mußte auf jeden Fall verhindert werden, dazu gab es jedoch im Kleinen schon Ansätze. Die Bestrebungen zur Spaltung der Arbeiter in deutsche Arbeiter und ausländische „Gastarbeiter“, wie das damals noch hieß, muß in diesem Sinne gesehen werden. Gerade die unteren Schichten der Arbeiter, die als einer revolutionären Propaganda potentiell zugänglicher gelten, wurden zunehmend gegen ausländische Arbeiter ausgetauscht. Aber das wirkte nicht so, wie die Bourgeoisie sich das vorstellte:

 

1973 rückte es immer stärker ins Bewußtsein, daß die ausländischen Arbeiter selbst zu einer zunehmend revolutionären Kraft im Lande werden könnten. Es kam 1973 zu den ersten bedeutenden Streiks, die auch gleich politisch ausgenutzt wurden. Schon vorher war gegen Ende 1972 eine deutliche Diskussion über die politischen Auswirkungen der Massierung der neuen Einwanderung entstanden. Man erkannte in den Emigranten einen wichtigen Teil der Arbeiterklasse, der bald zu einer eigenständigen Macht werden müsse und der daniederliegenden Arbeiterbewegung neuen Schub verleihen könnte. Auch revolutionäre Organisationen begannen sich zunehmend um ausländische Arbeiter zu kümmern. Es entstanden immerhin in den Jahren 1972 bis etwa 1976 zahlreiche Betriebsgruppen, in denen deutsche und ausländische Arbeiter verschiedener Nationalitäten vereinigt waren. (Aus: Hartmut Dicke "Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage")

 

Die Bourgeoisie suchte nach einer Antwort auf diese Herausforderung und es kristallisierte sich eine mehrfache heraus: Auf der einen Seite die RAF-Kampagne, bei der der Staat selbst eine wichtige Rolle spielte, mit Unterwanderung, Bedrohung und Manipulation und teilweise direktem Ausrüsten mit Waffen über V-Leute, und die eine 20-Jährige Kampagne im Gefolge hatte, mit der eine „Terroristenpanik“ erzeugt wurde, die eine direkte Drohung gegen revolutionäre Kräfte bedeutete. Auf der anderen Seite war das die Öko- und Alternativbewegung, mit der Initialzündung der Anti-Kernenergie-Kampagne, die sich anfangs noch als „antikapitalistisch“ gab. Diesem Begriff „antikapitalistisch“, der heute gerade wieder modern ist, muß man auch heute mit Mißtrauen begegnen, denn entscheidend ist die Zielsetzung dabei. Es gibt linken und rechten Antikapitalismus und letzterer dient reaktionären Bestrebungen und kann deshalb auch von der Bourgeoisie für ihre Bestrebungen ausgenutzt werden. auch gab es unter den Linken Organisationen aus den Herkunftsländern eine verbreitete Tendenz, die ausländischen Arbeiter separat zu organisieren, mit Ausrichtung auf die Verhältnisse in den Herkunftsländern. Aber das ist noch nicht alles:

 

„Mit dem Beginn der Kanzlerschaft Helmut Schmidts (Mai 1974) beginnt ein Kurs der hohen Staatsverschuldung, der Forcierung der sogenannten Umstrukturierung, hinter der sich in letzter Konsequenz die Verlagerung großer Teile der Produktion verbirgt. Zunächst bedeutet dies noch nicht die Deindustrialisierung im großen Stil. Maßgebliche Kreise in deutschen Unternehmen wollen die hochentwickelte Produktion im Lande behalten, ein starker Energiesektor und die moderne Chemieindustrie sowie der Maschinenbausektor bilden die Grundlage dazu. Dagegen richtet sich im weiteren die Anti-AKW-Bewegung.“

„Die Hinausverlagerung der sogenannten klassischen” Industrien aus der Bundesrepublik Deutschland wie aus anderen europäischen Staaten wird in einer Diskussion in der Presse im Jahre 1974 in aller Öffentlichkeit erörtert. Es ist interessanterweise die große Majorität der linken Organisationen, die diese Diskussion ignoriert und so tut, als wenn es sie nicht gäbe. In Übereinstimmung damit beginnt Ende 1974 eine vom Pressewesen, den USA, den Kirchen und von kleinbürgerlichen Kräften angefeuerte Kampagne gegen die Kernenergie, die ein Stützpfosten für die verbleibende moderne Industrie sein sollte. “Der Bauplatz muß wieder Weide werden”, hieß es, und die völlige Liquidierung der gesamten Kernenergie war das Ziel. Die Durchsetzung dieser verbrecherischen Zielsetzung im vollen Ausmaß konnte verhindert werden. Aber es gelang ihnen, die Weiterentwicklung der Kernenergie in diesem Lande zu verhindern, wozu allerdings noch einige wichtige Ereignisse, vor allem aus den achtziger Jahren, notwendig wurden. Damit wurden wichtige industrielle Stützpfosten, die sich in den sechziger Jahren entwickelt hatten, vernichtet (Aus: Hartmut Dicke "Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage")

 

Im Endeffekt wurde ein großer Teil der deutschen Arbeiter und Menschen, die mit diesem Gesellschaftsbereich zusammenhängen, hier überflüssig gemacht, aber das ging über den Umweg, daß zuerst Illusionen über einen „Aufstieg“ geschürt wurden, während die ausländischen Arbeiter die unteren Arbeiten übernehmen würden. Im Rahmen der skizzierten Entwicklung und der Verlagerung zum Teil ganzer Industriezweige in andere Gegenden der Welt, wo heute mittlerweile neue globale Industrieschwerpunkte entstanden sind, gelang es der Bourgeoisie auch, mit einer Kombination von Druck und Hinauskaufen, einen sehr großen Teil der 1973 offiziell 2,6 Millionen, faktisch wahrscheinlich noch mehr ausländischen Arbeiter wieder hinaus und in ihre Ursprungsländer zurück zu drängen, Dafür wurde ein Nachzug von Familienmitgliedern zugelassen, aber auch eine völlige Veränderung der sozialen Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung erreicht, einschließlich der Installation von Kräften der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums und des kriminellen Sumpfes, sowie der Förderung islamistischer Kräfte zur Kontrolle und Unterdrückung der fortschrittlichen Bestrebungen. Das alles weiß Herr Saleh vielleicht garnicht so genau, weil es vor der Zeit passierte, als er als Kind hier ankam. das ist aber eine Seite der Entwicklung, die er so enthusiastisch begrüßt, die man nicht auslassen kann. Das Hereinholen ausländischer Arbeiter erfolgte keineswegs immer aus menschenfreundlichen Motiven Bei den Nazis gab es sogar 10 Millionen ausländischer Arbeiter, meist Zwangsarbeiter, 1/4 aller Arbeiter.

 

 

VII. Der „neue Patriotismus“ à la Saleh: Neue Untertanen

 

Herr Saleh hat vielleicht das alles nicht so gewußt. So geht es Leuten, die sich von überall her etwas scheinbar Passendes zusammenklauben und sich dabei an der hiesigen Bourgeoisie ausrichten. Wie man sich bettet, so liegt man. Aber dafür muß natürlich auch bei ihm die entsprechenden Voraussetzungen in seinen eigenen Anschauungen geben.

 

Von der Geschichte Deutschlands seit 1945 ist immer wieder die Rede, wie sehr sich die Deutschen doch seitdem verändert hätten. Zumindest sind die Deutschen tatsächlich nicht mehr so unterwürfig gegenüber dem Staat wie früher, mißtrauen ihm mehr, und das hat zumindest auch eine gute Seite. Kadavergehorsam ist auch eher eine preußische Tugend. Ich würde das auch unterscheiden von der Fähigkeit zur Disziplin, die mit Verantwortungsgefühl für das eigene Handeln gepaart ist.Das ist aber ganz bestimmt nicht das Verdienst dieses Staates. Herr Saleh propagiert eine recht ungebrochene Staatstreue, wie sie in Deutschland eigentlich nicht mehr so typisch ist, weil die mit dazu diente, Deutschland in den Abgrund zu schicken. Es war nicht zuletzt die Jugend- und Studentenbewegung, die der alten Untertänigkeit des deutschen „Michel“, Symbol für den untertänigen deutschen Kleinbürger, den Kampf angesagt hatte, die in dieser Hinsicht ein Verdienst hat, für viele Veränderungen in erheblichem Maße eine Rolle gespielt hat. Diese hatte gegen einen erheblichen Widerstand aus dem Staat anzukämpfen. Ein wichtiges Motiv dieser Bewegung war, Lehren aus der Nazizeit zu ziehen und so etwas nicht wieder zuzulassen. Dabei bekämpfte man auch die Elemente offensichtlicher Kontinuität in der Gesellschaft Nachkriegs-Deutschlands. Ein Teil kam bei Positionen an, an die alte Kommunistische- und Arbeiterbewegung vor der Nazizeit wieder anzuknüpfen, weil der Zusammenhang erkannt wurde zwischen der Nazirichtung und den Bestrebungen der Bourgeoisie, auch der internationalen Bourgeoisie, ihre Herrschaft gegen die organisierte revolutionäre proletarische Bewegung zu verteidigen. Und in dieser Hinsicht gab es in der Bundesrepublik eine Kontinuität zu vorher, an die antikommunistischen, antirevolutionären Bestrebungen der Nazis wurde bald in neuen Formen und teilweise mit dem gleichen Personal wieder angeknüpft.

 

Das sind alles natürlich schreckliche Dinge für Herrn Saleh, wo doch der deutsche Kapitalismus allen eine Chance bietet, laut Herrn Saleh, schließlich sei er doch selbst das Beispiel, daß man auch in die Bourgeoisie aufsteigen kann, selbst wenn man in einem Fast-Food-Restaurant anfängt. Die vielen Ausgebooteten und Abgehängten zählen bei ihm gar nicht. Das ist so wie mit einem einzigen kleinen Rettungsboot für 100 Leute auf einem Schiff wie die Titanic. Alle haben rein theoretisch die Chance in das Rettungsboot zu kommen, wenn die Plätze frei sind. Daß es am Ende nur ein Teil ist, ist ja nicht die Schuld derer, die es schaffen. Die anderen sind Schuld, weil sie nicht tüchtig genug waren. Aber wegen dem Mythos, daß angeblich jeder aufsteigen kann, sollen doch bitte alle den Staat hier toll finden. Positiv hebt er auch den „amerikanischen Traum“ hervor, „vom Tellerwäscher zum Millionär“, und blendet den Rassismus, die vielen Verelendeten, die Obdachlosigkeit und Verwilderung der Stadtteile der Ärmsten einfach aus. Und die internationale Ausbeutung gibt es bei ihm anscheinend auch nicht, von der das Land zunehmend lebt. Genau eine solche ungebrochene Treue zum Kapitalismus, eine solche Staatstreue, die Herr Saleh für die neu zugewanderten einfordert, kann bestimmt keine Lehre aus der Nazizeit für die Deutschen sein. So etwas hat sich da äußerst nachteilig ausgewirkt. Herr Saleh ist frei von solchen Bedenken, wenn er in dem Interview sagt:

 

„Neulich bin ich auf einen jungen Mann gestoßen, 17 Jahre, Flüchtling aus Syrien, und der sagte mir etwas, was wirklich ein Stück weit mich aufgewühlt hat, für mich auch ein Stück weit einen Gänsehautmoment gebracht hat. Er sagte mir: Ich kam mit meinen Eltern in dieses Land, dieses Land hat uns aufgenommen, hat uns geholfen. Es hat uns im Grunde genommen vor diesem Krieg gerettet. Und dann sagt er den für mich entscheidenden Satz: Ich liebe dieses Land, ich würde für Deutschland alles geben. Ich finde das beeindruckend, daß ein Mensch das Gefühl hat, dieses Land zu lieben aufgrund ihrer Toleranz. Und er ist für mich ein größerer Patriot, mit Verlaub, als die Leute, die von sich behaupten, Patrioten zu sein. Das sind Möchtegern-Patrioten, das sind Pseudopatrioten. Und dieser junge Mann ist in meinen Augen ein richtiger Patriot, weil er dieses Land wirklich schätzt und liebt.“ (Interview Inforadio)

 

Nehmen wir einmal an, daß dieser erst 17 Jahre alte Syrer die Zusammenhänge mit dem internationalen imperialistischen System, das in Syrien die verschiedensten Kräfte hochrüstet und den Krieg am Laufen hält, gegenwärtig vor allem einen Krieg um die künftige Aufteilung vorantreibt, zu dem auch Deutschland gehört, nicht durchschaut. Einen Deutschen, sollte er in untypischer Weise so etwas von sich geben, würde man wegen einer solchen Position heftig angreifen. Aber wenn man einen Migrationshintergrund hat, wie das modern ausgedrückt wird, dann darf man plötzlich wieder so naiv Staatstreu sein, ausblenden, sogar die preußische Untertanengesellschaft beschönigen, die dem Nazismus mit den Boden bereitet hat? Herr Saleh bietet regelrecht die Immigranten als die besseren Untertanen an.

 

 

VIII. Das Erbe des Faschismus übernehmen - die einen als Nachfolger der Täter, die anderen als Nachfolger der Opfer?

 

Nun ja, Herr Saleh fordert allerdings auch, daß auch die Migranten das deutsche Erbe des Naziunrechts mit übernehmen. Und wie tut er das?

 

„...Weil, was machen sie denn in einer Einwanderungsgesellschaft, wo mittlerweile, an einigen Schulen 70, 80 Prozent aller Kinder sagen: Du, mein Großvater hat mit der NS-Zeit gar nichts zu tun. Damals lebte er in Serbien oder in Bulgarien oder im Libanon oder in Kamerun oder irgendwo in der arabischen Welt. Sagen wir ihnen, na dann ist das so oder sagen wir ihnen: Nee, du bist Deutscher, du bist hier geboren, du bist Deutscher arabischer Abstammung, muslimischen Glaubens, bist aber Teil dieses Landes und für uns gilt: Nie wieder Auschwitz und Holocaust, nie wieder Verfolgung und Ermordung von Minderheiten in Deutschland.“ (Interview Inforadio)

 

Das geht doch nicht, daß deutsche Kinder diese Bürde nicht übernehmen wollen, das hat Herr Saleh gut verstanden. Laut dem von Herrn Saleh so verehrten Exkanzler Gerhard Schröder, der dies besonders offen bekundet hat, ist der amerikanische Präsident und die Mitgliedschaft in der Nato, also Unterordnung unter die USA, Unterordnung unseres Militärs unter das Kommando der US Army, ungeschriebener Teil unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Und das wird auch begründet mit der Schuld der Deutschen an der Nazizeit. Das muß sich bis in alle Zeiten vererben, so wie bei der DDR aus ähnlichen Gründen die Mauer ewig stehenbleiben sollte, was hieß, daß sie ewig dem entsprechenden Machtblock zugeordnet bleiben sollte.Anm.7 (Der sich dann selbst auflöste.) Nun sollen Deutsche sagen können, sie haben damit nichts zu tun, weil ihre Vorfahren von woanders kommen? Nein, das geht nicht. Sie müssen dieses Erbe mit übernehmen und damit die daraus abgeleitete Abhängigkeit. Aber Saleh macht einen Unterschied, sie sollen sich mit den Opfern identifizieren, während die „alteingesessenen Deutschen“ sich mit den Tätern identifizieren sollen? Angeblich wurden ja nur Minderheiten verfolgt, laut Herrn Saleh. Wobei Minderheiten im Sinne von Gruppen zu verstehen ist, die kollektiv aufs Korn genommen wurden. Daß Hitler die organisierte Arbeiterbewegung mit Terror niedergeschlagen hat, insbesondere die revolutionäre, wie überhaupt Menschen, die den Nazis bei ihrer antikommunistischen, rassistischen und chauvinistischen Politik nicht Folge leisten wollten, blendet er damit aus, z.B. solche, die auch Herr Saleh als „Linksradikale“ ausgrenzen will, die er auch als nicht zu Deutschland gehörig, gar als „Parallelgesellschaft“ bezeichnet, wie es auch die Nazis taten. Das waren damals Millionen. An einer Stelle in seinem Interview kommt es deutlich heraus:

 

„Ich habe mit jungen Leuten Auschwitz besucht und Birkenau. Mit jungen Leuten mit Migrationsbiographien, wie das so schön heißt, ein schrecklicher Begriff. Für mich sind das alles deutsche Kinder. Und dann steht auf einmal ein riesengroßer Berg namens Mustafa vor einem riesengroßen Berg von Koffern und jeder dieser Koffer trägt einen Namen, einen Namen und einen Stadtteil aus Berlin. Und plötzlich merkt Mustafa, dieses Schicksal hätte auch ihn treffen können.“ (Interview Inforadio)

 

Hier ist er relativ offen. Aber wer sagt denn, daß in einem künftigen Faschismus, der nicht einfach nur eine Kopie des alten sein müßte, der KZ-Wärter nur Hans und nicht Mustafa heißen könnte? Hier steht doch wieder im Hintergrund die Theorie, daß der Faschismus nur eine Frucht des „Deutschtums“ gewesen sei, im Grunde auch sowas wie ein Rassenmerkmal. Der spezifische Nationalsozialismus Hitlers knüpfte tatsächlich an das Reaktionärste der deutschen Geschichte an, aber es gab auch immer die Gegenrichtung dazu, die von inländischen wie ausländischen Reaktionären unterdrückt wurde, auch wenn sie während der Nazizeit mit Terror, mit Betrug und mit Korrumpierung zeitweilig relativ klein gehalten werden konnte. Es gab insbesondere eine Arbeiterbewegung, die im Großen und Ganzen auf der Höhe der Zeit warAnm.8 und die Arbeiter in anderen Ländern inspirierte, gepaart mit den Lehren von Marx und Engels, die auch ursprünglich eine Frucht der revolutionären Gegenrichtung in Deutschland sind. Aber gerade mit dieser Gegenrichtung hat es Herr Saleh gar nicht. Die will er selber ausgrenzen.

 

Der Faschismus als Strömung ist außerdem nicht nur ein ausschließlich deutsches Phänomen. Der Faschismus Mussolinis, der schon mehr als 10 Jahre vor 1933 in Italien die Macht übernahm, fand anfangs großen positiven Widerhall bei den imperialistischen Mächten in der Welt, war in den USA sogar zeitweilig ausgesprochen populär. Faschistische Strömungen gab es in vielen Ländern. In Deutschland wurde der Faschismus, damals noch „Fascismus“, Ende der zwanziger Jahre als europäisches Phänomen diskutiert, vor allem als ein italienisches, aber auch in einer Reihe anderer Länder sah man solche Strömungen mehr oder weniger einflußreich werden. Er hat auch damit zu tun, daß das organisierte Industrieproletariat immer mehr zu einer Macht wurde, der die Bourgeoisie im Rahmen des parlamentarischen Systems nicht mehr Herr werden konnte. Die Arbeiterbewegung hatte gelernt, die moderne Nation und die dazugehörenden Einrichtungen und Regeln, gerade auch den Parlamentarismus, auch in ihrem Sinne zu nutzen, bei gleichzeitigem Internationalismus und internationaler Solidarität. Auch die Korrumpierung eines Teils der Arbeiter wie auch der Führung der Sozialdemokratie, der millionenfache Aderlaß der Arbeiterjugend im Ersten Weltkrieg, hatten die Frage für die Bourgeoisie nicht lösen können.

 

Dieser Faschismus ist eine internationale Erscheinung der bürgerlichen Gesellschaft, keineswegs nur eine originäre deutsche Erscheinung, aus dem „diabolischen“ Hirn Hitlers gewachsen. Die deutsche Bourgeoisie der Weimarer Zeit hatte übrigens dazu lange ein mehr pragmatisches Verhältnis. Der Jurist Hermann Heller, Schöpfer des Begriffes „Sozialer Rechtsstaat“, dessen Denken nach dem Krieg nach offizieller Lehrmeinung die Verfassungsordnung der Bundesrepublik mit beeinflußt hat, schrieb 1929 zum „Fascismus“, damals noch mit dem Namen Mussolini verbunden, der schon fast ein Jahrzehnt in Italien Diktator war:

 

„Was den Fascismus interessant macht, was weiteste Kreise in Europa am Fascismus fasziniert, ist seine Behauptung, er biete durch seinen korporativen Staatsgedanken eine fundamentale, allen Gesellschaftsklassen zumutbare Lösung der politischen Krise. Man sieht in ihm die Synthese nationaler und sozialistischer Gedankengänge, die zur positiven Überwindung des staatsauflösenden Klassengegensatzes geeignet sein soll. Der französische Fascist George Valois definiert den Fascismus geradezu als ‘Nationalisme + Socialisme’ (Le Fascisme, 1927, S. 21).“ [...]
„In der Tat - das Klassenproblem ist der springende Punkt. Hier muß die Frage nach der konkreten politischen Autorität, Hierarchie, Elite usw. ihre konkrete Antwort bekommen.
Ist der neue korporative Staat die neue politische Gestalt, welche die Krise des Klassenstaates befriedigend löst, dann hat auch die Diktatur als Mittel zu diesem Zweck ihre sinnvolle Rechtfertigung. Sonst nicht!“ (Hermann Heller. „Europa und der Faschismus“, 1929, Seite 105, Hervorhebung von mir.)

 

In Italien, wo Mussolini schon 1922 die Macht übernahm, waren die Sozialisten, eigentlich Sozialdemokraten, nach dem ersten Weltkrieg die stärkste Partei, aber sie waren zu einer Machtübernahme nicht fähig und nicht willens, weil sie die revolutionären Ziele nur noch im Munde führten. So verharrte das Land in einer Art Patt. Mussolini kam selbst aus der Sozialdemokratie, war Sozialist (hierzulande hätte man das Sozialdemokratie genannt) vom linken Flügel mit anarchistischen und syndikalistischen Tendenzen. Er wurde bekannt durch eine radikale und abenteuerliche Politik ohne jeden Skrupel, aber die Ziele der Bewegung nahm er nicht ernst, das war nur ein „Mythos“ für ihn.

 

Mussolini, der im ersten Weltkrieg im Gegensatz zur Majorität seiner Partei vehementer Befürworter der italienischen Teilnahme am Krieg war und bei den italienischen Sozialisten vergeblich eine Führungsposition anstrebte, ging ab etwa 1920 offen auf die Seite der Kapitalisten und Großgrundbesitzer über und schuf mit deren Hilfe eine Privatarmee aus Kriegsveteranen und lumpenproletarischen Abenteurern, mit deren Terror er die Arbeiterbewegung niederkämpfte. Schließlich übernahm er 1922 die Regierungsgewalt. Das war ein wichtiges Vorbild für Hitler, der im Gegensatz zu seiner Mythenbildung durchaus an Vorbildern anknüpfte und nicht lange zuvor noch V-Mann der Reichswehr gewesen war, wo er auch eine propagandistische Schulung erhalten hatte. Seine Privatarmee, die SA, stand zusammen mit anderen paramilitärischen Verbänden unter dem Schirm der Reichswehr, was auch seitens der Siegermächte geduldet wurde, die sie als Gegentruppen zur Revolution in Deutschland ansahen. Mit seinem Marsch auf die Feldherrenhalle in München 1923, offensichtlich angelehnt an Mussolinis „Marsch auf Rom“ ein Jahr zuvor, bot er sich der Bourgeoisie als der deutsche Mussolini an, aber sie hatten 1923 vorerst noch andere Pläne.

 

 

VIII,1. Der besondere Charakter des Nazi-Faschismus

 

Daß der Nazi-Faschismus in Deutschland später so stark wurde und so besonders gräßliche und barbarische Formen annahm, lag natürlich einerseits daran, daß Hitler sich auf viele entwurzelte, durch den ersten Weltkrieg mit seinem modernen Abschlachten von Millionen verwilderte Menschen stützte, die danach in ein geschlagenes, gedemütigtes Land zurückkehrten, das ihnen keine Perspektive bot. Im Krieg hatte manchen ein Aufstieg in die angesehene Kriegerkaste des preußisch dominierten Deutschland vorgeschwebt und nun gab es stattdessen den Niedergang dieser Ordnung, die Novemberrevolution mit folgenden Bürgerkriegsauseinandersetzungen und die Dominanz der Siegermächte. Es lag auch an seinem Anknüpfen an bestimmten reaktionären Traditionen in Deutschland, auch an der fortgesetzten Dominanz der preußisch reaktionären Kräfte innerhalb des Staatsapparates, unter denen ein Faschismus wie bei Mussolini durchaus als diskutabel galt, während ihnen jedoch Hitler mit seinen SA-Scharen lange zu plebejisch war. Schon Jahre vor 1933 war die parlamentarische Ordnung faktisch außer Kraft gesetzt, als Regierungen von Gnaden des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, selbst aus alten Junkerkreisen kommend und eher an der Monarchie hängend, mit präsidialen „Notverordnungen“Anm.9 gegen das Parlament regierten, ähnlich wie zu wilhelminischen Zeiten. Das war dem Faschismus bereits ähnlich. Das Regieren per präsidialer Notverordnungen, angesichts der tiefgehenden wirtschaftlichen und politischen Krise praktiziert, war eine Einrichtung, die der sozialdemokratische Präsident Ebert in den Zeiten der Bürgerkriege mit installiert hatte, die er gegen die Novemberrevolution und zur Niederschlagung der Arbeiterbewegung auch mehrfach angewandt hatte. Es lag an der sehr zugespitzten Lage Deutschlands, sowohl was den Klassenkampf im Inneren anging, als auch bezüglich der internationalen Stellung des Landes.

 

Als Hitler ins Amt gehievt und von v. Hindenburg bestätigt wurde, da war das keineswegs ein zwingendes Ergebnis der Wahl, denn der Parlamentarismus war längst durchbrochen und einer Präsidialdiktatur gewichen, auch wenn es noch Wahlen gab und seine Partei 1933 nach dem Wahlergebnis die Stärkste war, aber es fand damals den Beifall auch der großindustriellen- und Finanzwelt, die auch mit auf diese Entscheidung hingewirkt hatte, und zwar keineswegs nur der deutschen. Und diese einigten sich mit Hindenburg, Hitler die Regierung zu übertragen. Während Heller 1929 am Ende seines Buches noch zu dem Schluß kam, der Fascismus könne seine Versprechungen nicht erfüllen, sei aber die dem Kapitalismus gemäße Form der Diktatur, war man nun verzweifelt genug, es doch zu versuchenAnm.10. Eine Zeit lang bescherten die großen imperialistischen Mächte diesem Regime, das von Anfang an mit zügellosem, gesetzlosem Terror gegen die organisierte Arbeiterbewegung, aber auch mit antisemitischem Terror vorging, immer wieder Erfolge auf der nationalen wie internationalen Ebene, räumte ihm Hindernisse aus dem Wege, solange es den Weg des Antikommunismus beschritt, der terroristischen Verfolgung der revolutionären Bewegung im Inneren und den Kurs auf einen Krieg mit der damals noch sozialistischen Sowjetunion hielt.

 

Man verzichtete 1932, als die Weichenstellung in Deutschland in Richtung konterrevolutionärer Ausrichtung im Grunde schon feststand, weitgehend auf die Zahlung der Reparationen, die ja eigentlich bis mindestens in die 1980er Jahren hätten gezahlt werden müssen. Man ließ die Hitlerregierung im Gegensatz zu den Bestimmungen des Versailler Vertrages das Saarland zurückholen, das Rheinland voll wieder eingliedern und in die vorher bestehende entmilitarisierte Zone von 50 km rechts des Rheins einrücken, die weit in das Ruhrgebiet hineinragte, obwohl sie zu dieser Zeit noch militärisch sehr schwach war, befreite sie von Beschränkungen des Versailler Vertrages, letztlich auch seinen Rüstungsbeschränkungen, die Deutschland nur eine Miniarmee zugestanden hatten, die nicht einmal für den Schutz der Grenzen ausreichen war, schanzte ihr gar eine Olympiade zu. Auch der Anschluß Österreichs war durch den Versailler Vertrag untersagt worden, obwohl die Deutschösterreicher sich sogar selbst in einer Abstimmung dafür ausgesprochen hatten, nachdem sie ihre nichtdeutschen Landesteile eingebüßt hatten - nun wurde er auf Naziart zugelassen. Man warf Hitler die Tschechei in den Rachen. Man verhalf ihm damit nicht unwesentlich zu seinem Nimbus in Deutschland und stabilisierte sein System. Man muß es auch in Kontrast zu der tiefen Demütigung Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg durch die Versailler Nachkriegsordnung sehen, als das Land auf den Status einer überschuldeten Halbkolonie, mit umfangreicher Enteignung in- und ausländischen Besitzes, mit zeitweiliger ausländischer Besetzung des Ruhrgebiets und des linksrheinischen Gebietes, mit vom USA-Finanzsektor gesandten Zwangsverwaltern für die Wirtschaft, um die Reparationen herauszuholen, herabgedrückt worden war. Das verschärfte alle Widersprüche enorm.

 

Erst als die deutschen Faschisten, die Nazis von dem direkten Kurs in Richtung Krieg mit der Sowjetunion abwichen, den Erwerb ukrainischer Gebiete, die nach dem Weltkrieg der Tschechei zugeschlagen worden waren, verschmähtenAnm.11, den Nichtangriffsvertrag mit der Sowjetunion schlossen und sich nach Westen wandten, weil sich in einem Bündnis zwischen Reaktionären eben die Widersprüche zwischen ihnen immer wieder durchsetzen, gingen die westlichen Großmächte, nun selbst durch die von ihnen mit hochgezogene Bestie bedroht, zu einem anderen Kurs über, der sie schließlich sogar selbst in ein Bündnis mit der Sowjetunion brachte. Man beachte die Parallelen zu heute, z.B. die Hochzüchtung des militanten Islamismus in Afghanistan und die Installation Bin Ladens dort.

 

Die derartige Durchsetzung eines solchen Faschismus in Deutschland war keineswegs nur wegen innerer Faktoren möglich, sondern auch wegen der Begünstigung durch den gesamten Imperialismus, der sich durch ihn die Ausrottung des Sozialismus in Europa und in Rußland erhoffte. Schon gleich nach der Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg hatte man die „Freikorps“ toleriert, die nach der Niederlage weiter gegen Rußlands kämpften, gebildet aus fanatischen Militaristen, die sich eine Rückkehr ins Zivilleben nicht vorstellen konnten, und die in scharfem Gegensatz zur Masse der Armeeangehörigen standen, die nur noch nach Hause wollten. Aus solchen Elementen wurden auch die Freikorps gebildet, die gegen die Revolution geschickt wurden. Obwohl Deutschland zu extremer Abrüstung und Demobilisierung verurteilt wurde, wurden diese irregulären Kräfte toleriert, da man sie als gegenrevolutionäre Kräfte brauchte. Aus diese Einheiten ging auch die SA mit hervor. Die Dreistigkeit dieser Kräfte rührt auch daher, daß sie sich des Wohlwollens der internationalen Reaktion bewußt waren. Da „übersah“ man auch so etwas Bestialisches wie den Antisemitismus. Es paßt auch dazu, daß die USA-Besatzungsmacht nach dem gewonnenen zweiten Weltkrieg viele Nazifaschisten in eigene Dienste nahm, dabei manche regelrecht vor der Verfolgung schützte, während sie allerdings zunächst auch bei einem Teil der führenden „Rebellen“ gegen ihre Weltordnung ein Exempel statuierte.

 

Also soll uns der Herr Saleh nicht damit kommen, daß wir nun alle Änderungen in unserem Land zu begrüßen hätten, weil wir doch mit unserem alten Nationalismus das Recht verwirkt hätten, in unserem Land eigene Vorstellungen zu haben. Das steckt jenseits der Lobhudelei, was für ein tolles Land Deutschland doch sei, in seinem Konzept mit drin. Auch wenn er uns dann droht, zur Parallelgesellschaft erklärt zu werden. Die Vorstellung, der deutsche Nazismus sei sozusagen „organisch“ aus einem deutschen Volkscharakter entsprungen, greift auf ein geistiges Arsenal zurück, das selbst aus reaktionären Quellen schöpft, aus denen auch die Faschisten selbst geschöpft haben.

 

*

 

Für manchen mag es befremdlich erscheinen, daß ich hier teilweise so weit in der Geschichte zurück gegangen bin, aber viele heute kennen von der deutschen Geschichte recht wenig und fallen auf die Verabsolutierung der 12 Jahre Naziherrschaft herein. Wir müssen deshalb durchaus nicht alles Deutsche negieren, sondern wir können kritisch an unsere eigene Geschichte herangehen und dort zwischen Gutem und Schlechtem unterscheiden, so wie das in jeder Nation gemacht werden muß. Aber wegen der negativen Seiten in unserer Geschichte, die wir Heutigen uns ja so nicht ausgesucht haben, müssen wir nicht alles Positive an unserer Nation verleugnen und nicht akzeptieren, daß uns rückschrittliche Konzepte übergestülpt werden.

 

Aus dem bisherigen ist wohl schon klar geworden, daß der Anspruch der Umerziehung der Deutschen seitens dieses Herren wohl etwas sehr anmaßend ist. Und das Friede-Freude-Eierkuchen-Motto erscheint ja wohl ein bißchen zu naiv, um ernst genommen zu werden.

 

 

IX. Vom Islam lernen? (und gleichzeitig die Leistungen unserer Entwicklung vergessen?)

 

Saleh preist die angeblichen Vorzüge des Islam, die er angeblich für dieses Land hätte. Wir sollten uns doch einmal überlegen, wie er unser Land bereichern könnte. Er schreibt:

 

„Noch in den sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war der Islam für viele Menschen im Westen eine gleichberechtigte Alternative zu den anderen großen Religionen. Viele berühmte Persönlichkeiten sind denn auch konvertiert: Sportler wie Cassius Clay (alis Muhammad Ali) oder Musiker wie John Coltrane oder Cat Stevens. Erst mit dem 11. September 2001 kam es auf grausame dramatische Weise zum Bruch. Seither ist unser Bild vom Islam geprägt vom Terror.

Dies darf uns nicht davon abhalten, mit kühlem Kopf zu analysieren, welche Werte dieser monotheistischen Weltreligion wahrhaft zugrunde liegen und wie sie unsere deutsche Leitkultur bereichern können.“ („Ich deutsch“, Seite 69/70)

 

Hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Daß Afroamerikaner in den USA zum Islam übertraten, im Rahmen der „Black Power“-Bewegung, weil sie damit gegen den Rassismus in den USA demonstrieren wollten, der sich gegen Afroamerikaner richtete und ihre afrikanischen Wurzeln mit Stolz betonen wollten, was sie meinten so erreichen zu können, das ist erst einmal etwas anderes, als das, was von Saleh dargestellt wird. Abgesehen davon haben sie dabei die Nutzung schwarzer Sklaven gerade in der Hochzeit des islamischen Kalifenreiches ausgeblendet und nur registriert, daß in manchen schwarzafrikanischen Staaten der Islam heute verbreitet ist. Und schließlich handelt das alles überhaupt von den USA, die hier zum Maßstab erhoben werden - warum eigentlich beim Thema „deutsche Leitkultur“? Ich kann mich nicht erinnern, daß hierzulande jemals nennenswert viele Menschen den Übertritt zum Islam erwogen haben. Hier gerät er ins Fabulieren.

 

Saleh sagt auch an anderer Stelle, um die Vorzüge des Islam zu preisen:

 

„Tatsächlich war der Islam im Mittelalter fortschrittlicher als jede andere Religion. Im sogenannten Goldenen Zeitalter vom 8. bis zum 13. Jahrhundert förderte er Kunst und Wissenschaft - vor allem Mathematik, Medizin und Astronomie.“ („Ich Deutsch“ S. 69)

 

Diese Thesen werden heutzutage schon eher in größerem Umfang verbreitet und gelten als ernst zu nehmend, und es lohnt sich deshalb, darauf genauer einzugehen. Zwar ist das Mittelalter schon ein Weilchen vorbei, aber wir wollen doch mal „mit kühlem Kopf analysieren“, wie das aus heutiger Sicht einzuschätzen ist. Dabei muß man den Islam auch in seiner historischen Entwicklung betrachten, die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Vorgänge aufdecken, was die Apologeten des Islam zumeist nicht so lieben. Dabei stößt man auf folgendes:

 

In der Entwicklung des arabischen islamischen Reiches gibt es offenbar einen gewissen Dualismus. Es gab in der Zeit der Entstehung des Islam die Herausbildung einer Aristokratie von vor allem Händlern und Hütern des zentralen Heiligtums von Mekka. Indem sie ihre patriarchale Familie an die erste Stelle setzten, in deren Rahmen auch das Privateigentum angehäuft wurde, lösten sie sich aus der Stammesgesellschaft und ihrer Solidarität, wenngleich der Stammeszugehörigkeit auch noch Bedeutung beigemessen wurde. Mohammed entstammte als Waise einer verarmten Seitenlinie der Sippe der Haschemiten und gehörte zum Stamm der Quraisch, auch „Koreischiten" genannt, zu dem auch die Händleraristokraten gehörten, die als Hüter des arabischen Heiligtums der Kaaba eine Sonderstellung unter den arabischen Stämmen hatten. Ein Anliegen des Islam war auch, den alten Zusammenhalt auf eine neue, gesamtarabische Grundlage zu stellen, sozusagen als Überbau über die Stämme, eine Art religiös begründeten „Gesamtstamm“ zu setzen, die ständigen Fehden zwischen den Stämmen weitgehend zu beseitigen und die enormen militärischen Potenzen dieser harten, zähen und beweglichen Wüstenkrieger zu vereinigen und nach außen zu wenden. Nach Mohammeds Tod entbrannte alsbald ein Kampf darum, wer das neu entstehende Reich anführen sollte, zwischen den engeren Gefährten Mohammeds und den Vertretern der Aristokratie der Quraisch deren Stammesgenossenschaft mit Mohammed in den Augen der damaligen Araber auch ein Faktor von Bedeutung war, denn Stammeszugehörigkeit spielte für die arabischen Krieger, auf die sich die Eroberungen militärisch stützten, eine äußerst wichtige Rolle und findet auch Berücksichtigung im Islam.

 

Man kann annehmen, daß für die Aristokraten, die anfangs den Glauben Mohammeds abgelehnt hatten, die Annahme des neuen Glaubens auch pragmatischere Gründe hatte. Sie erkannten sicher das ungeheure Potential und wollten auch davon profitieren. Als weltgewandte Händler waren sie geschickt im Verhandeln und Argumentieren, was sie ja auch mit ihrem Verwandten Mohammed gemeinsam hatten, und nutzen geschickt die sektiererischen und haarspalterischen Auseinandersetzungen der gläubigen Stammeskrieger, um sich selbst an die Spitze zu setzen. Der Kalif Utman aus der Mekkanischen aristokratischen Familie der Umayyaden ließ 20 Jahre nach Mohammeds Tod die religiösen Doktrinen kodifizieren, sammelten die vielfältigen, teils mündlichen Überlieferungen und gab dem Koran die Form, in der er heute anerkannt ist, ordnete die Verbrennung aller anderen schon bestehenden Sammlungen der religiösen Vorschriften des Koran an, verringerte damit auch die Möglichkeiten der engen Weggefährten Mohammeds, ihre Stellung, gestützt auf den Umgang mit dem Propheten, weiter auszubauen und evtl. mit passenden Korantexten zu untermauern. Manche sollen sogar den gesamten Koran im Kopf gehabt haben. Auch die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten geht in ihren ersten Ursprüngen mit auf diesen alten Konflikt zurück, der für umfangreiche innere Wirren sorgte, wenngleich auch noch andere Faktoren dabei im weiteren eine Rolle spielten. Die Schiiten erkennen unter den Kalifen nur die engen Weggefährten und Familienmitglieder Mohammeds an.

 

Die aus dieser Aristokratie hervorgegangenen Führer konnten aber zunächst nicht absolut regieren. Sie brauchten zur Bestätigung weiterhin die religiösen Autoritäten, die ihnen bescheinigten, im Sinne der Religion zu regieren. Anfangs, bei der ersten Dynastie, den Umayyaden, wurde auch noch ein Rat von Stammesführern einberufen. In der weiteren Entwicklung jedoch degradierte diese doppelte Machtspitze quasi die Stammeskrieger zu Fußsoldaten, indem ihnen die Inbesitznahme der eroberten Länder untersagt wurde, ihre Plünderung nach Ende der Kampfhandlungen eingeschränkt wurde, wenn sich die Bevölkerung unterwarf und zu Tributzahlung an die Zentralmacht verpflichten ließ, wofür ihnen im Gegenzug die Weiterführung des gewohnten Lebens garantiert wurde. Die arabischen Eroberer konzentrierten sich in arabischen Siedlungen in den eroberten Ländern als Garnisonen und wurden von der Zentralmacht unterhalten.

 

Die Zentralmacht erkannte die Notwendigkeit von Fachleuten zur Verwaltung des großen Reiches und griff dafür auf Verwaltungsfachleute in Syrien, Ägypten und Palästina, aber im weiteren auch in den neu eroberten Gebieten zu, die in den Verwaltungstechniken des römischen Reiches, in dessen Nachfolge ja auch Byzanz stand, geschult waren, sowie auf Verwaltungsfachleute des sassanidischen persischen Reiches. Es wurde ein großes Heer von Staatsbeamten geschaffen und ein großer Überwachungsapparat. Auch machten sie sich den hohen Stand von Wissenschaften und Handwerk zu nutze und förderten deren Entwicklung, wozu sie deren zumeist nicht islamischen und nicht arabischen Trägern große Freiheiten zugestanden. Das alles brachte die Zentralmacht in einen Gegensatz zu den Kämpfern aus den Wüstenstämmen, so daß sie ihr Zentrum zuerst nach Damaskus verlegten, wo es neunzig Jahre blieb. Nach dem Wechsel von der Dynastie der Umayyaden zur Dynastie der Abbassiden verlegte man die Hauptstadt nach Bagdad, noch weiter weg von den Entstehungsgebieten des Islam. Als die erste Herrscherdynastie, die Umayyaden, um 750 von den Abbasiden verdrängt wurde, die sich zunächst als die Erneuerer des wahren Islam darstellten, nutzten diese in ihrer neu gebauten Hauptstadt, nicht sehr weit entfernt von der alten Hauptstadt des sassanidischen Persien, den kulturellen Gegensatz zwischen den Arabern und den Persern, indem sie sich in eine gewisse kulturelle Nähe zu Persien begaben und persische Kräfte an ihren Herrscherhof zogen.

 

Die Abbasiden versuchten die Zentralmacht im Sinne eines theokratischen Zentralstaats zur absoluten Herrschaft auszubauen und die Macht der religiösen Autoritäten einzuschränken, die man versuchte von Mekka und Medina weg an den Hof zu holen. Der Kalif ließ sich als „Kalif Allahs“ preisen. Dabei baute man in gewissem Maße auch auf Erfahrungen des alten persischen Reiches. Besonders in jener Zeit wurden auch die Vertreter der Wissenschaften an den Hof geholt, die dort große Freiheit hatten, die alte griechische Philosophie und Wissenschaft, die geistigen Erungenschaften der Römer und der Perser, die Mathematik der Inder und vieles mehr, wie auch die Entwicklung fortgeschrittener Handewerkstechniken weiter zu pflegen. Untertanen aus Syrien, wo sich viele Zivilisationslinien gekreuzt hatten, leisteten dabei einen großen Teil der Arbeit und fertigten viele Übersetzungen alter Werke an, mit der Zeit auch zunehmend ins Arabische, das als Verkehrssprache dieses riesigen Reiches eine große Weiterentwicklung erlebte. Arabische Wissenschaftler entwickelten vor allem die Mathematik, Medizin und Astronomie weiter, (deshalb hebt Saleh wohl auch diese Wissenschaften besonders hervor) während bei den Geisteswissenschaften die Herrschaft des Islam ein Hindernis war. Am Hof wurden auch Dispute zwischen Vertretern verschiedener Religionen geführt. Man mußte diese Vertreter aber vor dem Zorn gläubiger arabischer Moslems schützen. Diese Vorgänge einfach als die Folgen der Fortschrittlichkeit der islamischen Religion hinzustellen, ist reine Apologie.

 

Auch wurden gerade in jener Zeit große Mengen von Sklaven eingeführt. Ihre Zahl war zeitweilig so groß, daß Sklavenaufstände das Reich erschütterten, so der große Sklavenaufstand von 863 - 883, in dessen Verlauf sogar zeitweilig von den Sklaven im Gebiet des heutigen Irak ein eigener revolutionärer Staat aufrecht erhalten wurde. Die massive Einfuhr von Sklaven mag vor allem die Funktion gehabt haben, die Entwicklung von Klassenkämpfen innerhalb der arabischen Bevölkerung zu dämpfen, indem direkt dienende oder mit schwerer körperlicher Ausbeutung verbundene Tätigkeiten eben an Sklaven, oft afrikanische schwarze Sklaven, verwiesen wurden. Solche Tätigkeiten verletzten den Stolz der Stammeskrieger und wurden ansonsten, wie die schwere Feldarbeit, in der Regel von den heimischen Einwohnern der eroberten Gebiete erledigt, die weiter in ihren ursprünglichen Verbänden lebten. Im Zuge der Vertiefung der Gegensätze wurden auch zunehmend Sklaven auf Führungspositionen eingesetzt, die für den Erfolg ihrer Tätigkeit buchstäblich mit dem Kopf hafteten.

 

Die Herrscher in Bagdad steigerten enorm den Prunk und sonstigen Aufwand ihrer Herrschaft und erhöhten zu diesem Zweck die Abgaben. Der Apparat zur Eintreibung der Tribute wuchs an und wurde selbst zu einem Kostenfaktor. Es entstand die Notwendigkeit, in den oft weit entfernten Gebieten lokale Instanzen zu diesem Zweck auszubauen, um dort mehr unmittelbare Kontrolle zu bekommen, was aber im Endeffekt die Tendenzen zum Partikularismus verstärkte, denn diese Instanzen neigten dazu, ihre lokale Macht auszubauen und verschlangen einen wachsenden Teil der Mittel selbst.

 

Was die zentrale Macht stärken sollte, schwächte sie im Endeffekt. Schon wenige Jahre nach dem Machtantritt der Abassiden trennte sich ein eigenes Kalifat in Andalusien ab. 868 trennten sich Ägypten und Syrien ab. Die Zentralmacht stützte sich bald, da der Gegensatz zu den arabischen Massen immer größer wurde, zunehmend auf türkische Söldner und Kriegersklaven, die in der Folge in Bagdad immer mehr zur eigentlichen Macht wurden. Machtkämpfe und Aufstände erschütterten das arabische Reich. Partikularismus griff um sich und das Reich wurde immer mehr geteilt, aber das will ich hier nicht weiter im Einzelnen aufrollenAnm. 12. Die Massen in den eroberten Gebieten, die unter den Abgaben stöhnten, konvertierten zunehmend zum Islam und machten einen Prozeß der Arabisierung durch, was sie von den Abgaben, zumindest einem großen Teil, befreite und mit den Eroberern gleichstellte. Es bildeten sich lokale Varianten des Islam, da die Konvertierten Elemente die eigene Kultur mit einbrachten. Das Kalifat in Bagdad wurde zunehmend schwächer und 1258 wurde schließlich Bagdad von den Mongolen erobert und die Stadt nachhaltig verwüstet, 800.000 Einwohner wurden massakriert. Später eroberten sie auch Damaskus und wurden erst von den Mamelucken aus Ägypten gestoppt. Diese waren selbst Nachkommen türkischer Kriegersklaven und hatten sich in Ägypten zur neuen Herrscherschicht dort in einem ägyptischen Kalifat aufgeschwungen.

 

Gerade der Islam, wie er sich heute zumeist durchgesetzt hat, in dem die strengeren Auslegungen und die Nachahmung des Islam zur Zeit, als Mohammed noch die arabischen Stammeskrieger gegen Mekka mobilisierte, so dominieren, kann überhaupt nicht die damaligen Verdienste um die Wissenschaften für sich reklamieren, die gerade auch mit einer weniger strengen Handhabung der Religion zu dieser Zeit im Zusammmenhang stehen, wie auch mit dem Machtstreben der Kalifen. Hätte ein solcher Islam damals die Oberhand gehabt, und nicht solche Herrscher, die sogar zeitweilig so in Gegensatz zu den religiösen Autoritäten gerieten, daß sie versuchten, diese gewaltsam zu unterdrücken, wäre das garnicht in dieser Weise möglich gewesen.

 

Am Ende dieser Zeit gewannen die religiösen Autoritäten dann die Übermacht und es bildeten sich die großen Schulen des Islam mit ihren Auslegungen und anerkannnten Hadithen (Berichten über Leben und Aussprüche Mohammeds), die noch heute doninieren - gegen diese mehr weltlichen Kräfte! Werden die damaligen Fortschritte der Wissenschaften heute oft so dargestellt, als sei das der Überlegenheit des Islam zu verdanken gewesen, geht das weit an der Wahrheit vorbei.

 

Unter dem Strich bleibt durchaus ein Verdienst um die Entwicklung der Wissenschaften und die Erhaltung wichtiger Werke der griechischen Geistesentwicklung, die dann für die Renaissance und in der Aufklärung wertvoll waren, daß auch dieses riesige Reich mit seinem inneren Handel und seinem ausgedehnten inneren Verkehrssystem zeitweilig den Gedankenaustausch sehr unterschiedlicher Kulturen ermöglicht hat. Was aber einen wichtigen Unterschied zur Renaissance in Europa darstellt, ist das Fehlen der Verbindung mit einer neuen revolutionären Klasse, die dann die gesamte Gesellschaft umgestaltet. Das aber ist ein sehr entscheidendes Moment, das einen sehr wichtigen Unterschied der europäischen Entwicklung zur Entwicklung des islamischen Reiches markiert, das der Entwicklung der Gebiete, wo der Islam dominierte, in der Regel nicht förderlich war. Friedrich Engels brachte diesen Unterschied einmal so auf den Punkt:

 

"Der Islam ist eine auf Orientalen, speziell Araber, zugeschnittene Religion, also einerseits auf handel- und gewerbetreibende Städter, andererseits auf nomadisierende Beduinen. Darin liegt aber der Keim einer periodisch wiederkehrenden Kollision. Die Städter werden reich, üppig, lax in Beobachtung des »Gesetzes«. Die Beduinen, arm und aus Armut sittenstreng, schauen mit Neid und Gier auf diese Reichtümer und Genüsse. Dann tun sie sich zusammen unter einem Propheten, einem Mahdi, die Abgefallnen zu züchtigen, die Achtung vor dem Zeremonialgesetz und dem wahren Glauben wiederherzustellen und zum Lohn die Schätze der Abtrünnigen einzuheimsen. Nach hundert Jahren stehn sie natürlich genau da, wo jene Abtrünnigen standen; eine neue Glaubensreinigung ist nötig, ein neuer Mahdi steht auf, das Spiel geht von vorne an. So ist’s geschehn von den Eroberungszügen der afrikanischen Almoraviden und Almohaden nach Spanien bis zum letzten Mahdi von Chartum, der den Engländern so erfolgreich trotzte. So oder ähnlich verhielt es sich mit den Aufständen in Persien und andern muhammedanischen Ländern. Es sind alles religiös verkleidete Bewegungen, entspringend aus ökonomischen Ursachen; aber, auch wenn siegreich, lassen sie die alten ökonomischen Bedingungen unangerührt fortbestehen. Es bleibt also alles beim alten, und die Kollision wird periodisch. In den Volkserhebungen des christlichen Westens dagegen dient die religiöse Verkleidung nur als Fahne und Maske für Angriffe auf eine veraltende ökonomische Ordnung; diese wird schließlich gestürzt, eine neue kommt auf, die Welt kommt vorwärts.(Aus: Friedrich Engels „Zur Geschichte des Urchristentums -Fußnote1. Permalink: http:www.zeno.org/nid/20009163921 )

 

Der frühe Soziologe Ibn Chaldun, den uns Herr Saleh auch anpreist, der zur Zeit der mongolischen Eroberung von Bagdad und Damaskus lebte, befaßte sich in einem bis heute bekannten Werk mit dem Niedergang des arabischen islamischen Reiches, aber konnte diese Vorgänge nicht gründlich analysieren, jedenfalls nicht in öffentlich zugänglichen Schriften, denn das hätte wahrscheinlich seinen Tod bedeutet. Die Herrscher im Namen des Islam durften nicht kritisiert werden. Er umschrieb das Ganze mehr mit Betrachtungen über den Niedergang des Zusammenhaltes bei den Eroberern großer Reiche, bei ihm wird der Geist dieses Zusammenhaltes „Asabiyya“ genannt.,Diese „Asabiyya“ lasse nach, wenn die Kultur zu städtisch-wohlhabend wird und der alte Stammeszusammenhalt der Araber nachläßt. Das sind Betrachtungen, die durchaus ihren Wert haben, es ist wirklich lesenswert, aber bei Saleh wird das verflacht und ohne den historischen Zusammenhang wiedergegeben.

 

 

X. Herr Saleh und die Bestrebungen zur Bildung von Parallelgesellschaften

 

Was ist denn mit den tatsächlichen Bestrebungen zu Parallelgesellschaften? Mehrfach mußte in dem Interview mit Inforadio die Moderatorin nachfragen, was Saleh denn zu solchen Einwanderern sagt, die sich nicht hier in die Gesellschaft einfügen wollen und Parallelgesellschaften bilden. Diese Frage ist durchaus angebracht und berechtigt. Diese stellen sich doch in gewisser Weise auch außerhalb der Nation, demonstrieren extra ihre Nicht-Zugehörigkeit, sind sich aber bisweilen nicht unbedingt zu schade, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Sollen sie die Regeln für die Nation, die er erlassen will, mitbestimmen? Schließlich geht er in dieser Weise darauf ein:

 

„Erst einmal will ich betonen, daß Parallelgesellschaften kein Phänomen sind von Migranten. Diejenigen, die rumlaufen bei Pegida und dort aufmarschieren und uns irgendetwas erzählen wollen von einem besseren Deutschland, aber im Grunde genommen nichts mit einem besseren Deutschland zu tun haben, das ist für mich eine große Parallelgesellschaft. Oder andere Gruppen, Neonazis, insgesamt 23.000 gewaltbereite Neonazis in Deutschland, das ist für mich eine Parallelgesellschaft. Linksextreme, 21.000 an der Zahl, das sind für mich Parallelwelten. Das sind Leute, denen man klar sagen muß: Ihr gehört nicht zu Deutschland. In meinem Buch versuche ich darauf auch hinzudeuten, daß die Leute, die behaupten wir sind Deutsche und wir haben das Recht, Deutschland mitzudefinieren, sich in dem Augenblick disqualifizieren, Deutschland und die Zukunft des Landes mit zu definieren, also die gemeinsame Leitkultur mit zu definieren, in dem Augenblick, wo sie andere ausgrenzen, in dem Augenblick, wo sie andere attackieren, in dem Augenblick, wo sie Gewalt anwenden. Das heißt, die Extremen, die Linksextremen, die Rechten, die Fanatiker von allen Seiten, die haben ihr Recht verwirkt, aber andere Leute, die das Land lieben, die haben natürlich das Recht, das Land mit zu definieren.“ (Interview Inforadio)

 

Hier muß der aufmerksame Zuhörer doch wirklich aufhorchen. Hier wird das Problem von Parallelgesellschaften schließlich, nach Bohren seitens der Moderatorin endlich aufgegriffen, aber in einer Weise angegangen, die wie eine Art Gegenangriff erscheint. Erst einmal werden Attacken gegen „Links- und Rechtsextreme“, gegen Leute, die „andere ausgrenzen“ gefahren. Gleichzeitig grenzt er doch dabei selbst nicht zu knapp aus und müßte nach seiner eigenen Logik sich selbst deshalb zur Parallelgesellschaft erklären. Aber auf einem gewissen Auge scheint er doch blind zu sein oder sein zu wollen.

 

Auf das Problem, nach dem die Moderatorin fragt, wird nicht wirklich eingegangen. Es gibt das Problem der Clans, die sich abschotten, die Ehen nur innerhalb des Clans zulassen und geschlossene Gesellschaften bilden, in denen ihre Clangesetze und Clansitten gelten und nicht die des Landes, in dem sie leben. In den schlimmsten Fällen, bei solchen Clans, die sich nach dem Maßstab des hiesigen Rechtssystems als kriminelle Vereinigungen betätigen, ist der Raum außerhalb des eigenen Clans aus ihrer Sicht ein rechtsfreier Raum, in dem sozusagen Kriegsrecht herrscht, wo Raub und dergleichen gerechtfertigt ist und aus ihrer Sicht kein Unrecht darstellt. Wenn Einzelne gefaßt werden, sind das eben Krieger, die einen Preis dafür zahlen, daß es der Sippe insgesamt gut geht. In dem Buch von Raed Saleh findet sich zwar auch etwas Zustimmendes zur Abschiebung von kriminellen Ausländern und auch von Salafisten, denn er weiß nur zu gut, daß er das irgendwo mit drin haben muß, um sich nicht völlig zu disqualifizieren. Aber das Problem der Abschottung und der Bildung von Parallelgesellschaften bis hin zu solchen aggressiven Charakters ist allerhöchstens eines der Deutschen oder allerhöchstens der Salafisten.

 

Schon die Abschottung für sich alleine ist ein nicht zu unterschätzendes Problem, denn sie führt zur Segmentierung der Gesellschaft und widerspricht damit tatsächlich dem Prinzip der Nation, wie sie real existiert. Das real Existierende zu ändern sollte aber in Richtung Fortschritt erfolgen und nicht wie hier Rückschritt bedeuten. Ein Problem, das er überhaupt nicht anspricht, genauso wenig wie die Abschottung nach Clans, ist die religiöse Abschottung, die auch in Kombination mit der Abschottung von Clans auftreten kann. Für sehr viele Moslems ist es undenkbar, daß eine Tochter oder ein Sohn einen nichtmuslimischen Ehepartner bekommen. Das kommt auch nicht so oft vor. Das liegt weniger an den eingesessenen Deutschen, wo die Religion meistens gar nicht mehr eine wichtige Rolle spielt, obwohl es auch das geben wird, aber da können sich Paare auch eher über den Willen der Eltern hinweg setzen, sondern das liegt eher an den Sitten der muslimischen Familien. Da kommt es vor, daß Töchter in das Ursprungsland geschickt werden, um sie dort zu verheiraten, weil man befürchtet, daß sie von den hiesigen Sitten „angesteckt“ seien und einen von der Familie nicht gewünschten Partner heiraten. Auch werden junge Männer mit Frauen aus dem Ursprungsland verheiratet, damit sie nicht eine hiesige Frau oder eine solche heiraten, die von der hiesigen Kultur zu sehr beeinflußt sei. Es gibt auch noch die Extremfälle, wo man Töchter, Söhne oder Bräute umbringt, um Paarungen zu verhindern, die von den Familien nicht gewollt sind. Die Namen Hatun Sürücü oder Maria P. stehen für viele andere. Wie oft schon die Drohung ausgereicht hat, liegt im Dunkeln. . Zu diesen Dingen hört man von Herrn Saleh nichts, außer daß er eine Bereicherung darin sieht, daß sich ein spezieller Migranten-Slang mit vereinfachter Sprache gebildet hat: “Kanak-Sprak“, er nennt das einen „Ethno-Slang“. Das ist neben einzelnen kreativen Wortschöpfungen vor allem eine ungenügende Beherrschung der deutschen Sprache, die bei der Auseinandersetzung mit der deutschen Kultur und Geschichte behindert und die Abschottung fördertAnm.13. Diese Abschottung ist mit der Gründung von deutschen Instituten für islamische Theologie, die er befürwortet, jedenfalls nicht beseitigt.

 

 

XI. Wie sieht die Trennung von Kirche und Staat bei Saleh aus?

 

Wenn er von der Trennung von Staat und Religion spricht, wenn er darauf besteht, daß dies mit dem muslimischen Glauben gut vereinbar sei, dann bekommt man doch Zweifel, wie das zu verstehen ist, ob das wirklich das Gleiche ist, wie die hiesige säkulare Ordnung. Daß diese säkulare Ordnung in einem gewissen Maße von manchen vor allem muslimischen Einwanderern nicht wirklich akzeptiert ist, haben wir im Vorigen schon gesehen. Herr Saleh sagt aber trotzdem, daß die Trennung von Staat und Religion kein Problem des Islam und in vielen muslimischen Ländern verwirklicht sei.

 

Moderatorin: Ist das dann auch ein Islam, der Staat und Religion trennt? Denn das ist ja eigentlich der Anspruch des Islam, daß beides zusammengehört.

„Teil unserer Leitkultur ist die Trennung von Religion und Staat. Und das ist für mich nicht verhandelbar.“

Moderatorin: Ist das mit dem Islam vereinbar?

„Selbstverständlich. Es gibt ja jetzt schon viele muslimische Länder, wo es genau diese Trennung gibt. Wo man zum einen die Regierung hat und zum anderen quasi die Kirche. Das geht und das funktioniert. Zum Beispiel in Malaysia, zum Beispiel in Jordanien. Da gibt es ja zum Beispiel das Königshaus, das haschemitische Königshaus mit dem König Abdallah [Abdallah heißt übrigens Diener Allahs] an der Spitze, und zum anderen gibt es dann dort eine Religion, also ein Religionsinstitut, das die Religion ausübt. Das ist im Grunde genommen jetzt schon in vielen Ländern der Welt so. Aber nochmal, wenn ich von Leitkultur und von Werten und Normen rede, dann reduziert es sich nicht auf die Gruppe der Muslime, sondern es betrifft alle hier in Deutschland lebenden Menschen. Wir alle müssen zueinander finden.“ ... „ Ich glaube, wir alle haben uns zu bewegen, und zwar dahin, daß wir ein neues Zentrum in der Mitte schaffen, wo wir alle unseren Platz haben. Das ist meine Vorstellung, ein Stück weit auch mein Traum, von einer neuen deutschen Leitkultur.“ (Interview Inforadio)

 

Trennung von Staat und Religion in muslimischen Ländern, das ist doch schon ein Widerspruch in sich. Sprechen wir denn auch hierzulande von christlichen Ländern, wenn die Mehrheit eines Landes einer christlichen Kirche anhängt? Ist es bereits Trennung von Staat und Religion, wenn die oberste Staatsführung nicht identisch mit der obersten Religionsführung ist?
Wie sieht es denn zum Beispiel in Jordanien mit der Trennung von Staat und Kirche aus? Dort steht der offizielle Islam unter Kontrolle des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten, das auch zuständig dafür ist, welche Religionen zugelassen werden. Trennung von Kirche und Staat? Es gibt Themenvorgaben für Prediger oder Ausschaltung von unliebsamen Predigern. Seit 1990 gilt die Scharia als Rechtsquelle, die Rechtsordnung ist an die Scharia angelehnt, die Rechte anderer zugelassener Religionen sind nachgeordnet, ihre Religionsausübung ist aber zugelassen. Es gibt Scharia-Gerichtshöfe, aber auch Gerichtshöfe der anderen Religionsgemeinschaften. Ausführungen zur Politik sind in Predigten verboten. Wenn das die Trennung von Kirche und Staat nach islamischen Vorstellungen ist, dann danke nein. Auf hier übertragen hieße das, daß die Moslems ihren eigenen Bereich in der Gesellschaft haben, wo ihre Regeln gelten. Allerdings würden die Anhänger keiner religion unter den Tisch fallen, deshalb meint er wohl, daß die Muslime die Toleranz solcher Menschen erlernen sollen. Die bekämen dann wohl ein eigenes Segment? (Und wenn sich später wieder eine strengere Lesart durchsetzt, wie das ja schon vorgekommen ist?) Das wäre auch dann nicht akzeptabel, wenn das die Regeln eines speziellen deutschen Islam wären. Es wäre auf jeden Fall eine Segmentierung der Gesellschaft.

Dieses Problem gibt es auch bei den Palästinensern. Die PLO war früher für ein einiges säkulares Palästina, in dem die Religion keine Rolle spielen sollte, so hatte sie es in ihrem Programm. Als sie sich den USA und Saudi-Arabien annäherte änderte sie auch ihr Programm und sprach nun von einem Staat, in dem Juden, Christen und Moslems gleichberechtigt zusammenleben können. Diese neue Formulierung ist ein Zugeständnis an den Islam, daß jede Religionsgemeinschaft ihren eigenen Bereich behält und z.B. Trauungen und ähnliches von der jeweiligen Religionsgemeinschaft vollzogen werden, wie das übrigens auch in Israel der Fall ist, wo z.B. Mischehen fast völlig verunmöglicht sind. Saleh sollte diese Probleme kennen.

 

 In Jordanien gilt im Zivilrecht die Scharia. Und die Vorschriften des Islam lassen schon gar keine Heirat von islamischen Frauen mit nicht-islamischer Männern zu, weil nach islamischem Recht damit die Kinder zur Religion ihrer Väter gerechnet werden. Wenn Frauen das tun, bekommen sie auch, untertrieben ausgedrückt, in der Regel erhebliche Probleme mit ihren Familien, verstoßen zu werden, wenn nicht Schlimmeres. Dagegen geht es umgekehrt noch eher, Heirat eines muslimischen Mannes mit einer nicht-muslimischen Frau, wenn die Frau sich völlig unterordnet und sichergestellt ist, daß die Kinder islamisch erzogen werden. Das vergrößert ja die islamische Gemeinschaft. Für solche Verhältnisse können wir uns nur bedanken, wir sind eigentlich froh, ähnliches hier, in der Frage verschiedener Konfessionen, weitgehend überwunden zu haben. Diese Segmentierung, diese Implementierung des Islam in die Gesellschaftsordnung, einen solchen Rückschritt können wir hier nicht gebrauchen! Dem dient doch offenbar die Aufwertung des Religiösen. Auf so etwas will ich mich nicht zu bewegen und hier den Fortschritt auf diesem Gebiet wieder rückgängig machen.

 

 

XII. Ein „deutscher Islam“ für ein islamisches Segment der deutschen Gesellschaft?

 

Herr Saleh geht ja in allen Ausführungen auch davon aus, daß die Kinder muslimischer Einwanderer selbstverständlich als Moslems erzogen werden. Was ist denn, wenn sie aus der islamischen Religionsgemeinschaft austreten wollen? Da müßten wohl manche um ihr Leben fürchten. Wenn Saleh davon spricht, daß die Muslime lernen sollen, Menschen ohne Religion zu tolerieren, meint er dann auch innerhalb der Einwandererfamilien? Soll sein „deutscher Islam“ auch das beinhalten? So ist das nicht unbedingt zu verstehen. Auf die Frage, ob ein „liberaler Islam“ möglich sei, sagt er:

 

„In meinem Buch gehe ich ja darauf ein und skizziere eine Vorstellung, die ich habe, wie die Muslime hier in Deutschland perspektivisch leben können als gleichberechtigte Menschen muslimischen Glaubens. Dazu gehört zum Beispiel die Schaffung von islamischen Theologiezentren in den Städten. Bei uns in Berlin entsteht bald ein solches Theologiezentrum. [Moderatorin: An der HU] An der HU, war mein Wunsch damals. Ich habe es angeregt, weil ich gesagt hatte, wir müssen uns von diesen Importimamen lösen. Das kann doch nicht sein, daß irgendwelche Menschen hier herkommen, die überhaupt keinen Bezug haben zu unserem Land, die gar keinen Bezug haben zu unserer Sozialisation und hier anfangen, unsere Kinder, das heißt die Berliner Kinder am Ende zu prägen. Das geht nicht. Da erhoffe ich mir am Ende tatsächlich auch eine Entwicklung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland. (Interview Inforadio, Hervorhebung von mir.)

 

Da kann man seine Zweifel bekommen, ob das Hoffen des Herrn Saleh da viel hilft, gerade auch wenn man sieht, wie hier die Versuche, einen sogenannten „liberalen Islam“ zu schaffen, überhaupt nicht angenommen werden. Was bleibt, ist ein quasi islamisches Segment der Gesellschaft, dem widerspricht die Vorstellung von Saleh nicht. Daß die Kinder von Imamen geprägt werden sollen, die der deutsche Staat bezahlt, ist immer noch ein Rückschritt und das heißt nicht, daß deren Islam unbedingt in allem besser sein muß. Daß der Einfluß z.B. von Saudi-Arabien, Iran oder der Türkei so wirklich beseitigt wird, ist erst mal nur ein Wunsch, die Bestrebungen zu einem „liberalen Islam“ oder einem „deutschen Islam“ sehen nicht nach einer Erfolgsgeschichte aus. Diejenigen, die sich in die hiesige Ordnung gut eingliedern, zieht es doch oft gar nicht in die Moschee. Das sagt selbst Herr Saleh von sich. Sollte dieses islamische organisierte Segment, das Saleh hier doch im Grunde wieder propagiert, seinen Anteil vergrößern, zum Beispiel wegen einer höheren Geburtenrate, dann ist damit zu rechnen, daß daraus weitere Forderungen abgeleitet werden. Die deutschsprachige „Islamische Zeitung“ schwärmt seit jeher von Kalifaten in Europa.

 

Es ist aber auch irgendwie logisch, daß der liberale Islam wenig Anklang findet. Abgrenzung gehört zum Islam. Er ist in einer Zeit entstanden und von ihr geprägt, als es rund um die arabische Halbinsel einen Streit großer Reiche gab, in dem die Religionen instrumentalisiert wurden. Vor allem war es ein Streit zwischen Westrom, später Byzanz, mit der Hauptstadt Konstantinopel, die einst direkt vom römischen Kaiser Konstantin, der das Christentum zur römischen Staatsreligion machen wollte, als Stützpunkt der christlichen Missionierung in Richtung Osten, Richtung Asien konzipiert war und auf der anderen Seite dem persischen Reich, das den Zarathustra-Glauben als seine Reichsreligion ausbaute. Die arabische Halbinsel drohte beim Sieg einer der Parteien in diesem gewaltigen Ringen an den Sieger zu fallen. Der Jemen war schon persisch beherrscht, sonst waren rund herum christliche Länder und die christliche Religion wie auch das Judentum drangen in das Gebiet der Araber vor, die damals unterschiedlichen Stammesreligionen anhingen. Aber die beiden großen Mächte Byzanz und Persien waren nach dem lang dauernden Krieg auch erheblich erschöpft.

 

In dieser Zeit, im 7. Jahrhundert, entwickelte sich quasi dagegen der Islam in Mekka und Medina, der die arabischen Stämme der Halbinsel mittels der einheitlichen Religion einigte, die zwar einerseits Züge einer Weltreligion hatte, aber andererseits auf die damaligen Verhältnisse in Arabien und die dortige Bevölkerung zugeschnitten war. Damit bot man den großen Mächten Paroli und schuf die große Kraft mit einer religiösen Mission, die gegen die vom Krieg erschöpften Gegner nun ihrerseits eine große Expansion betrieb und ein riesiges Reich, überwiegend in den vormaligen Kolonialgebieten dieser geschwächten Mächte, erobern konnte.

 

Daß für die Araber der Islam eine tatsächlich sehr wichtige Rolle für ihren damaligen Aufstieg zur Weltmacht gespielt hat, ist unübersehbar. Auch die Türken haben ihr einstiges Osmanisches Reich im Namen des Islam erobert. Deshalb ist es auch für sie schwer, ihre eigene Religion kritisch historisch zu würdigen und zu kritisieren, wie das hierzulande mit dem Christentum recht selbstverständlich geworden ist, aber da führt kein Weg drum herum, wenn sie sich wirklich einen Weg zur modernen Entwicklung bahnen wollen. Der Islam beinhaltet Grundelemente, die der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung entgegen stehen, auch wenn es wiederholt (gescheiterte) Versuche gab, beides zu verbinden. In einer wichtigen Schrift von Hartmut Dicke wurde einmal folgendes auf den Punkt gebracht:

 

„Das Gesellschaftsmodell des Islam ist letztlich auch so aufgebaut, daß er einer kleinen Minderheit von Kaufleuten und der Theokratie, den Rechtsgelehrten, Vorteile verschafft, während die große Masse des Volkes im Elend lebt. Dafür gibt es den "Zakat", die Almosen-Unterstützung der Verelendeten, als "Ersatz". Aber die Herausbildung revolutionärer Klassen wird nicht zugelassen. Das muß entschieden bekämpft werden, das ist untolerierbar.“ Hartmut Dicke "Was wird unter der Bewegung gegen Islamfeindlichkeit verstanden“, IS 2005-18,

 

Logischer als die Gründung eines „deutschen Islam“, wäre, daß die Bedeutung der Religion weiter abnimmt, daß sie wirklich zu jedermanns Privatsache wird und auch der Austritt aus dieser Religion leichter möglich wird. Es muß eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam stattfinden, die seine historische Bedeutung und seine verschiedenen Seiten analysiert und ihn nicht als Ganzes als heilig und unantastbar davor bewahrt. Und das muß doch auch möglich sein. Nur eine Minderheit folgt hierzulande den konservativen Islamverbänden, die hier von der Regierung hofiert werden. Da noch einen „deutschen Islam“ als Institution hinzuzufügen, um vielleicht über eine Art „Deutsches Religionsministerium“ Einfluß auf die Muslime im Land zu gewinnen - zu welchem Zweck? - kann nicht die Lösung sein, auch wenn manche in der Bourgeoisie vielleicht solche Wunschphantasien haben mögen.

 

 

Wenn man alles zusammennimmt, biedert sich Saleh bei der hiesigen Bourgeoisie wie auch den internationalen Oberherren des Systems, in das dieses Land eingebunden ist, mit seinen Vorstellungen an. Er stellt sich damit gewissermaßen in die Kontinuität dieser Kräfte, die seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts vor allem bestrebt waren, hier die ursprünglich besonders zugespitzten sozialen Widersprüche, auf Grund derer es hier in früheren Zeiten eine besonders starke organisierte Arbeiterbewegung gab, unter Kontrolle zu bekommen. Die Abschlachtung der Arbeiterjugend in zwei Weltkriegen, die Niederschlagung der Novemberrevolution und der folgenden Unruhen, der Nazifaschismus, der rigorose Antikommunismus der Nachkriegszeit, alles das hatte nicht verhindert, daß immer wieder neu proletarisch-revolutionäre Bestrebungen auf dem Boden der hochentwickelten Produktionsverhältnisse entstanden. Zeitweilig gab es sogar einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden, der aber nicht ohne Mängel war und schließlich mit dem gesamten früheren sozialistischen Lager degenerierte und unterging. Es kamen ab dem Ende der 60er Jahre die äußerst umfangreichen Umstrukturierungen der Gesellschaft durch das Hereinholen ausländischer Arbeiter, gefolgt von umfangreichen Produktionsverlagerungen. Es gab die Drohung des Staates mit der Terroristen-Hysterie und die grünen und alternativen Bestrebungen, die den scheinbaren Ausweg aus der Konfrontation boten und wieder auf ein dem Staat genehmes Gleis führten. Ein ganzer Teil der arbeitenden Bevölkerung wurde überflüssig gemacht und ist aus der Sicht der Bourgeoisie heute überflüssig. Die Bevölkerung schrumpft seitdem. Die Industriearbeiterschaft, deren organisierter kämpfender Teil früher seine Siegesgewißheit aus seiner Unentbehrlichkeit und seinem stetigen Wachstum schöpfte, steht einer Tendenz gegenüber, hier vermindert zu werden und seine Lage gegen das Anwachsen der unregulierten Arbeit rundherum verteidigen zu müssen. Aber auch die bürgerliche Ordnung dieses Landes ist auf diese Weise ausgehöhlt, kann nur mit umfangreicher internationaler Ausbeutung, von der bei Saleh auch nie die Rede ist, aufrecht erhalten werden.

 

Letztlich steht dieses Land immer mehr auf tönernen Füßen und die Entwicklung ist nicht so erfreulich, wie Saleh meint. Es dohen neue Kriege, da dieses System an seine Grenzen stößt und. die Gegenbewegung von Unten mit den Anforderungen nicht Schritt hält. Aber die internationale Ausbeutung bewirkt auch, neben den negativen Auswirkungen im Inneren z.B. dieses Landes, daß sich der Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf einer viel größeren internationalen Ebene wiederfindet. Milliarden werden in diesen Kampf hineingezogen und hineingezogen werden. Keineswegs kann alles so bleiben wie es ist, und Konzepte à la Saleh werden diese Ordnung nicht retten. Wir müssen nach Verbindung mit den werktätigen und vor allem den proletarischen Kräften von überall her streben, eine religiöse Separierung, die dem entgegen steht, müssen wir bekämpfen.

 


Anmerkungen

Anm.1  Im Original des Interviews heißt es: „gar kein richtiges alten“, wurde von mir verbessert.

 

Anm.2  Saleh versteigt sich dagegen zu solchen Vergleichen:

„Jedes Unternehmen hat einen Verhaltenskodex, in den Parlamenten und Ministerien wird auf strenge Einhaltung der Geschäftsordnung geachtet. Etwas Vergleichbares brauchen wir auch für unsere Gesellschaft.“ An einer anderen Stelle spricht er auch von „Hausordnung“. Da kann man doch nur noch mit dem Kopf schütteln. Neben der Verfassung und den Gesetzen noch eine Hausordnung?

 

Anm.3  Daß Saleh sich auf Margot Käßmann beruft und Martin Luther ausgerechnet als Ahnherr des deutschen „Sozialstaats“ würdigt, ist angesichts seiner tatsächlichen welthistorischen Bedeutung einfach nur peinlich.

Anmerkung des Autors H.D.: Die russische Sozialdemokratie knüpfte an diese Auseinandersetzungen an. Der radikalere und entschlossenere Teil, die Bolschewiki, systematisierte die Auseinandersetzung, rief verschiedene Grundlagen, die Marx und Engels vertreten hatten wieder in Erinnerung. Gleichzeitig wurden jedoch auch verschiedene Ausarbeitungen von Marx und Engels mißachtet, allein schon die Frage des Lassalleanismus wird von den Bolschewiki gar nicht oder völlig unzureichend behandelt. Der gesamte russische Marxismus leidet unter einem gewissen Schematismus (siehe hierzu meine Ausarbeitung „Leninismus und Zivilisation“).

  

Anm.4  Über die Situation nach dem ersten Weltkrieg schrieb Hartmut Dicke die Schrift „Proletarische Revolution und nationale Frage - Die Doppellage im Ausgang der ersten Weltkriegs“. Die Fertigstellung dieser Schrift überlebte er nur kurze Zeit. Die Umstände seines Todes, wobei er innerhalb kurzer Zeit regelrecht aus dem Leben gerissen wurde, bedürfen immer noch genauerer Untersuchung.

  

Anm.5  Ob die Holznot wirklich existierte, ist bis heute umstritten. Zu jener Zeit setzte sich die Verwendung von Kohle im großen Stil bei der Industrialisierung durch, und dadurch wurde weniger Holz verfeuert, so daß wir heute mehr Wälder haben als zu jener Zeit. Aber vielleicht war das ja wie heute, daß man qualitativ neue Methoden ablehnte und darauf gestützt die angebliche Unmöglichkeit neuer Entwicklungen postulieren wollte. Es ging im Grunde um den Schutz des Status Quo der gesellschaftlichen Entwicklung vor Veränderung. Man schützte z.B. auch - ganz unlogisch, wenn es wirklich um die Natur ginge - die Lüneburger Heide, die selbst ein Produkt der Abholzung in vorindustrieller Zeit ist, als Holz Brennstoff Nr.1 war, und die regelmäßig mit Schafen beweidet werden muß, damit der Wald heute nicht wieder entsteht.

 

Anm.6  Auf Wikipedia findet man z.B. folgendes zur Philosophie der Romantik, bzw. ihren wichtigsten Köpfen:

Johann Gottlieb Fichte

Fichte knüpft unmittelbar an Kant an und widmet sich rein menschlich, einer auf dem Ich fundierten Theorie von Erkenntnis. Das Ich (= die schöpferische menschliche Persönlichkeit) schafft sich mit Hilfe der schöpferischen Phantasie das Nicht-Ich (= Außen-/Umwelt), an dem es sich sittlich betätigen kann. Das Nicht-Ich ist daher nichts Fremdes, sondern eine Schöpfung des Ichs!

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

Schelling schließt kritisch an Fichtes Wissenschaftslehre an. Natur und Geist bilden eine Einheit. Sie sind zwei Offenbarungen desselben Prinzips, der „Weltseele“. Alles im Universum ist beseelt. Die Kunst ist die höchste Gestaltung alles Irdischen.

Friedrich Schleiermacher

Wissen und Glauben, Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Religion sind für die Romantiker eins → romantische Universalpoesie → Schleiermacher: Religion ist Einssein des Einzelnen mit dem Unendlichen.“

Da erweist Saleh den Grünen einen Bärendienst!

 

 

Anm.7  Womit ich nicht dafür plädiere, daß die Lehren aus der Nazizeit vergessen werden sollen. Sich mit dieser Vergangenheit auseinander zu setzen stand am Anfang meiner bewußten politischen Tätigkeit. Manche Lehren aber möchte dagegen eher Herr Saleh vergessen.

  

Anm.8  In der sich aber auch die deutschen Widersprüche wiederfinden lassen. So gab es innerhalb der noch wirklich revolutionären deutschen Sozialdemokratie eine rechte Strömung, von Lassalle repräsentiert, die sich mit Bismarck und den Junkern gegen die bürgerlichen Kräfte verbinden wollte, die nicht internationalistisch, sondern nationalistisch war. Diese Richtung wurde in der früher Sozialdemokratie nicht scharf genug bekämpft, man pflegte zu lange die Einheit mit ihnen, was in der langen Sicht eben dazu führte, daß die SPD eben heute die entsprechende bürgerliche Partei ist.

  

Anm.9  Ich zitiere dazu der Einfachheit halber aus Wikipedia:

„Ursprünglich war nur an wirkliche Ausnahmesituationen gedacht worden; mit der zunehmenden Handlungsunfähigkeit des Deutschen Reichstags entstand die politische Neigung, dieses Recht des Präsidenten als Ersatzgesetzgebung zu verwenden. Bereits unter Friedrich Ebert wurde dieses Instrument angewandt, so zum Beispiel am 9. November 1923 anlässlich des Hitler-Putschs.[1] Vor allem aber kam es zum Einsatz, nachdem am 27. März 1930 die Große Koalition zerbrochen und die Regierung Müller zurückgetreten war. Von da an gab es keine Regierung mehr, die sich auf eine Mehrheit im Parlament hätte stützen können; der Reichskanzler wurde seither ohne Berücksichtigung des Reichstags nur noch durch den 1925 erstmals gewählten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ernannt: zunächst Heinrich Brüning, später Franz von Papen, Kurt von Schleicher und schließlich Adolf Hitler. Mit den sogenannten Präsidialkabinetten wurde ein Bruch mit dem Parlamentarismus in Kauf genommen. Der Anteil der Notverordnungen an der (faktischen) Gesetzgebung stieg seit 1930 erheblich an. 1931 standen 34 vom Reichstag verabschiedeten Gesetzen 44 Notverordnungen gegenüber.“ (Hervorhebung von mir)

  

Anm.10  Heller: „Alles in allem kann der Faschismus durchaus nicht als eine neue Staatsform gelten, sondern als die der kapitalistischen Gesellschaft entsprechende Form der Diktatur“ (a.a.O. Seite 123)

  

Anm.11  Die ukrainischen Rechten, die in dieser „Karpatenukraine“ auch vertreten waren und die Nazifaschisten in ihrer Anfangszeit mit gefördert hatten, hofften dabei auf eine Zusammenarbeit gegen die Sowjetunion. Hitler reichte jedoch diesen Landerwerb an Ungarn weiter und verließ damit zunächst, vorübergehend, den Kurs Richtung Konfrontation mit der Sowjetunion. Danach war die Appeasementpolitik zu ende.

 

Anm. 12  Siehe für eine detailliertere Darstellung z.B. : „The Cambridge Medieval History“ , 1923, Band V, Seite 274 ff.

 

Anm.13  Saleh sagt sogar tatsächlich, die deutsche Sprache von heute habe „nicht mehr viel mit der von Luther, Goethe, Schiller und Wilhelm Busch“ zu tun. Wird die Bibel nicht etwa noch in der Luther-Übersetzung gelesen? Und die Sprache von Goethe und Schiller im Original erkennt man zwar als alt, aber versteht sie durchaus. Die Comics von Wilhelm Busch versteht jedes Kind, ich kenne sogar einen Fall, wo sich ein Kind anhand eines Buches mit den Geschichten von Wilhelm Busch in Faksimile selbst die Frakturschrift beigebracht hat. Er bringt ein völlig abwegiges Beispiel auf Seite 79 seines Buches, wo es darum geht, daß bei Schiller in einem Text ein Schriftsteller namens Josephus erwähnt wird, den heute fast keiner mehr kennt, der damals so bekannt wie der Duden gewesen sei. Das soll beweisen, daß die Sprache von damals nicht mehr verständlich ist! Den hat vielleicht auch damals nicht jeder gekannt. Na und? Vielleicht kennt auch nicht jeder, der sagt „Isch geh Aldi“, den Duden. Auch hier kommt Saleh regelrecht ins Fabulieren.

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